Literarische Texte – Prosa“Wegghelpen”

Wegghelpen (vön Rudolf Averbeck – Kurznovelle)

Weghelfen (von Rudolf Averbeck – Kurznovelle)

Et scheen, äs wenn sick nicks ännert hadde, äs wenn alles no’ jüst so wäör äs ‘n Augenblick vüördem.

Es schien, als wenn sich nichts geändert hätte, als wenn alles noch genau so war wie einen Augenblick vorher.

Siene Frau, dat Anke, satt immer no’ emm kiëgenüöwer un vertällde vön ‘t Inkaupen un dat se dao Diekpoels Tina troffen hadde un wat dat alles Nieet wüss, un dat Tina sick – wu kann man bloß! – ‘n giälen Schal kofft hadde un wat nich süss no’ alles. Dat Geküere hadde emm auk normalerwiese nich wieders intresseert, aower nu tröck et an emm vüörbie, äs wenn ‘t Gebrabbel vön kiëgenan wäör, he häörde et baole gar nich, he häörde gar nich to, he keek bloß up de kleine Daudenanzeige vüör sick in ‘e Zeitung, genauergesäggt keek he bloß up denn Namen: Franz Achterkamp, 1933 – 2006.

Seine Frau, die Anke, saß immer noch ihm gegenüber und erzählte vom Einkaufen und dass sie da Tina Diekpoel getroffen hatte und was die alles Neues wusste, und dass Tina sich – wie kann man nur! – einen gelben Schal gekauft hatte und was nicht sonst noch alles. Das Gerede hätte ihn auch normalerweise nicht weiter interessiert, aber jetzt zog es an ihm vorbei, als wenn es Gebrabbel von Nebenan wäre, er hörte es fast gar nicht, er hörte gar nicht zu, er sah bloß auf die kleine Todesanzeige vor sich in der Zeitung, genauergesagt sah er bloß auf den Namen: Franz Achterkamp, 1933 – 2006.

Achterkamps Franz – so hedde he, un he hadde denn Namen lesst un wäör all bie de naichste Daudenanzeige, un dann wäör he plötzlick innerlick tesammentucket: Achterkamps Franz, dat wäör doch „Bloot“, „Bloot – Bloot – Bloot  – I-di-ot“, wu se emm fröher immer naoroppt hadden. Nicheene hadde jemaols „Franz“ to emm säggt, immer män bloß „Bloot“. Bloot, wiel dat ‘e ‘n Bloot wäör, wiel dat emm wat feihlde, wiel dat he se nich alle up de Riege hadde, wiel dat he ‘n dümmlicken Utkiek hadde, wiel dat he wat unbeholpen wäör. Bloot is daut!, dachde he, Bloot is daut.

Franz Achterkamp – so hieß er, und er hatte den Namen gelesen und war schon bei der nächsten Todesanzeige, und dann war er plötzlich innerlich zusammengezuckt: Franz Achterkamp, das war doch „Bloot“, „Bloot – Blooot – Bloot – I-di-ot“, wie sie ihm früher immer nachgerufen hatten. Niemand hatte jemals „Franz“ zu ihm gesagt, immer man bloß „Bloot“. Bloot, weil er ein Bloot war, weil ihm was fehlte, weil er sie nicht alle auf der Reihe hatte, weil er einen dümmlichen Ausguck hatte, weil er etwas unbeholfen war. Bloot ist tot!, dachte er, Bloot ist tot.

Up Maol hadde he wier denn Geschmack vön siene olle schwatte Bliefiäder in ‘n Mund, he rüök wier denn Rüek vön dat Küöhlenfüer ut denn ollen Bolleruom in ‘n Hook vön ‘t Klassenzimmer un he säög wier dat kaole Lecht ut de witten Glasskuegeln, well vön ‘e Diëke höngen. Twedde Riege, rechterhand vön ‘n Mittelgang – dao satt he, kiëgen Waldrups Kalli, un vüörne stönn „Brunen Hiärm“, Hermann Brune, de Lährer, well söwwes nicks wüss, aower fröher bie ‘n Kommiss wesst wäör un nu de Blagen wat biebrengen soll. Dao stönn Brunen Hiärm un brüllde Bloot an, un brüllde un brüllde, un gaff emm wat vüör ‘t Gatt, Schlag up Schlag, un Bloot stönn dao un green, jeden Dagg, un de ganze Klasse satt un keek, schwiegend, vuller Angst, un de watten de gneesden, jeden Dagg, un de miästen wäörn froh, dat se nich söwwes vüörn stönnen. Man lährde nich viël bie Brunen Hiärm, aower daoför kreeg jedereene bie jeder Geliägenheit wat vüör ‘t Gatt. Un he satt dao, kiëgen Waldrups Kalli, un kabbelde an siene Bliefiäder, un he konn all wier de Angst föhlen, well üöwer de ganze Klasse lagg, he follde se sachte in ‘e Struote haugekruupen, he follde, wu se emm sachte de Struote totröck, jüst so äs fröher.

Auf einmal hatte er wieder den Geschmack seines alten Bleistiftes im Mund, er roch wieder den Geruch des alten Kohlenfeuers aus dem alten Bollerofen in der Ecke des Klassenzimmers und sah wieder das kalte Licht aus den weißen Glaskugeln, die von der Decke hingen. Zweite Reihe, rechts vom Mittelgang – da saß er, neben Kalli Waldrup, und vorne stand der „Braune Hermann“, Hermann Brune, der Lehrer, der selbst nichts wusste, aber früher beim Kommiss gewesen war und jetzt den Kindern was beibringen sollte. Da stand der „Braune Hermann“ und brüllte Bloot an, und brüllte und brüllte, und gab ihm was vor den Hintern, Schlag auf Schlag, und Bloot stand da und weinte, jeden Tag, und die ganze Klasse saß und guckte, schweigend, voller Angst, und die einen, die grinsten, jeden Tag, und die meisten waren froh, dass sie nicht selbst vorn standen. Man lernte nicht viel beim „Braunen Hermann“, aber dafür kriegte jeder bei jeder Gelegenheit was vor den Hintern. Und er saß da, neben Kalli Waldrup, und kaute an seinem Bleistift, und er konnte schon wieder die Angst fühlen, die über der ganzen Klasse lag, er fühlte sie langsam in der Kehle hochsteigen, er fühlte, wie sie ihm langsam die Kehle zuzog, genauso wie früher.

„Du häörs maol wier nich to.“ Siene Anke keek emm an, denn Kopp ‘n lück scheef dreihet, een Auge half tokniëpen. Denn Blick kannde he. Wenn se so keek, dann woll se ‘t ganz genau wiëten. He löt de Zeitung up ‘n Dischk fallen. „Wat du alles häss,“ siä he, „äs wenn ick di nich tohäörde.“ – „Küer du män.“ Se nammp ‘n Schlücksken Kaffee. „Wat häff ick dann telesste säggt?“ Nich, dat se würklick iärgerlick wäör. Se kannde iährn Kärl ja nich iärst siet gistern, un he gaff auk wieders kinne Antwaort.

„Du hörst mal wieder nicht zu.“ Seine Anke sah ihn an, den Kopf etwas schief gedreht, ein Auge halb zugekniffen. Den Blick kannte er. Wenn sie so guckte, dann wollte sie es ganz genau wissen. Er ließ die Zeitung auf den Tisch fallen. „Was du alles hast“, sagte er, „als wenn ich dir nicht zuhörte.“ – „Red du nur.“ Sie nahm ein Schlückchen Kaffee. „Was habe ich denn zuletzt gesagt?“ Nicht, dass sie wirklich ärgerlich wäre. Sie kannte ihren Kerl ja nicht erst seit gestern, und er gab auch weiter keine Antwort.

Et wüerd still in ‘n Wintergaorden. He nammp ‘n Schluck Kaffee un keek wier in ‘e Zeitung, se keek nao buten. De Hüegel wäör sattgrön un üöwerseihet met löchtend rauden Klapprausen, de Sunne scheen sietlick up dat Raut, et stüök reddeweggten grell kiëgen dat dunkle Grön af. In ‘n Magnolienbaum satt ‘n kleinen griesen Vuegel up sien Nössken.

Es wurde still im Wintergarten. Er nahm einen Schluck Kaffee und guckte wieder in die Zeitung, sie guckte nach draußen. Der Hügel war sattgrün und übersät mit leuchtend rotem Klatschmohn, die Sonne schien seitlich auf das Rot, es stach regelrecht grell gegen das dunkle Grün ab. Im Magnolienbaum saß ein kleiner grauer Vogel auf seinem Nestchen.

Se wüssen beide nich, wat för ‘n Vuegel dat wäör, singen dää he jedenfalls nich, he mök bloß so komischke kraakende Geräuschke, so ‘n biëtken so äs ‘ne Spinndicke.

Sie wussten beide nicht, was für ein Vogel das war, singen tat er jedenfalls nicht, er machte nur so merkwürdige knarrende Geräusche, so ein wenig wie eine Kohlmeise.

„Wat ‘n schönen Dagg“, föng se wier an, „kiek di de ganzen Blomen an. Wat häbbt wi ‘t schön an ‘t Bleihen.“ He keek up un streek sick met de Hand üöwer ‘n Kopp. „Jau“, siä he, „un dat nao düssen langen Winter. Mi wünnert, dat nich mähr verfruorn is.“ – „Män bloß de Magnolie.“  Jau, de Magnolie. Düt Jaohr wäörn de Blüten maol wier affruorn.

„Was ein schöner Tag“, fing sie wieder an, „guck dir die ganzen Blumen an. Was haben wir es schön am Blühen.“ Er sah auf und strich sich mit der Hand über den Kopf.“Jau“, sagte er, „und das nach diesem langen Winter. Mich wundert, dass nicht mehr erfroren ist.“ – „Nur die Magnolie.“  Ja, die Magnolie. Dieses Jahr waren die Blüten mal wieder abgefroren.

Daoför satt nu de kleine Vuegel in ‘e Magnolie un wäör an ‘t bröen.

Dafür saß nun der kleine Vogel in der Magnolie und war am Brüten.

He keek wier in ‘e Zeitung. „Die Beerdigung hat im engsten Familienkreis stattgefunden“, lessde he. „Dann bruk ‘ke dao ja nich män mitgaohn“, dachde he, „annersüm: well wäör dao wull üöwerhaupt mitgaohn? Vön de olle Scholklasse wisse nicheene.“

Er sah wieder in die Zeitung. „Die Beerdigung hat im engsten Familienkreis stattgefunden“, las er. „Dann brauch ich da ja nicht mehr mitzugehen“, dachte er, „andererseits: wer wäre da wohl überhaupt mitgegangen? Von der alten Schulklasse sicher keiner.“

So äs he wüss, hadde Bloots Süster nao Greiben up ‘n Buernhoff inhiëraot’, un se hadde Bloot metnuomen. Siet iëlke Jaohrn hadde he Bloot nich män seihn, dat lesste Maol vüör guet diärtig Jaohrn up ‘ne Beerdigung. Dao hadde he up Maol kiëgen emm staohn, se haddeen sick ankiëken, un emm wäör vüör luuter Verliägenheit heet un kaolt wuern. Säggt haddeen se beide nicks, aower Bloot hadde emm faorts kannt, un he hadde emm ankiëken, liekut in ‘e Augen, met een’ Blick, met een’ Blick, well emm düör un düör gaohn wäör, so äs daomaols, bie Achterkamps up ‘n Heibalken.

So wie er wusste, hatte Bloots Schwester nach Greven auf einen Bauernhof eingeheiratet, und sie hatte Bloot mitgenommen. Seit etlichen Jahren hatte er Bloot nicht mehr gesehen, das letzte Mal vor gut dreißig Jahren auf einer Beerdigung. Da hatte er auf einmal neben ihm gestanden, sie hatten sich angesehen, und ihm war vor lauter Verlegenheit heiß und kalt geworden. Gesagt hatten sie beide nichts, aber Bloot hatte ihn sofort erkannt, und er hatte ihn angesehen, geradeaus in die Augen, mit einem Blick, mit einem Blick, der ihm durch und durch gegangen war, so wie damals, bei Achterkamps auf dem Heubalken.

„Kiek äs“, siä Anke, „dao ächten – sühs du se?“  Ächter ‘n Bussbaumstruuk lagg de Naoberkatte – ‘n graut, goldbrun Dier. He keek, siä aower nicks un säög auk nicks, he säög denn Heibalken vüör sick, so düütlick, äs wenn ‘t nich äs ‘n Dagg hiär wäör, dat se dao siäten haddeen, Bloot un he.

„Guck mal“, sagte Anke, „da hinten – siehst du sie?“ Hinter dem Buchsbaumstrauch lag die Nachbarkatze – ein großes, goldbraunes Tier.Er guckte, sagte aber nichts und sah auch nichts, er sah den Heubalken vor sich, so deutlich, als wenn es nicht einmal einen Tag her wäre, dass sie da gesessen hatten, Bloot und er.

Achterkamps Hoff lagg wietaf in ‘e Heeë, wiet un breet kinn annern Hoff. Bloots Opa hadde dao to Kaisertieten denn ollen Brook drügeleggt un met ‘n grauten Moorplog dat ganze Gelänne ‘nen Meter deip düörplögt. Denn Hoff hadde de Opa met siene Bröers eegenhännig upbauet. Kinne fiewenfüfftig Jaohr ollt is ‘e debie wuern, reddeweggten kaputtarbeit’ hadde he sick. „Wat ‘n jämmerlicken Hoff“, siän de Lüe, „’n natt Lock un ‘n Sandhüegel.“

Achterkamps Hof lag weitab in der Heide, weit und breit kein anderer Hof. Bloots Opa hatte da zu Kaiserzeiten den alten Brook trockengelegt und mit einem großen Moorpflug das ganze Gelände einen Meter tief durchgepflügt. Den Hof hatte der Opa mit seinen Brüdern eigenhändig aufgebaut. Keine fünfundfünfzig Jahre alt ist er dabei geworden, regelrecht kaputtgearbeitet hatte er sich. „Was für ein jämmerlicher Hof“, sagten die Leute, „ein nasses Loch und ein Sandhügel.“

Aower de Hoff, so elennig äs ‘e maol wäör, hadde sick met Fliet un Düfftigkeit guet ruutmakt.

Aber der Hof, so elendig wie er mal war, hatte sich mit Fleiß und Tüchtigkeit gut herausgemacht.

Aower nich deswiägen, un all gar nich wiägen Bloot, wäör he manges up denn Hoff. Et gönk üm de Appeln. Achterkamps haddeen ‘n guet Händken för Appeln, un he konn sick no’ genau an de Baime entsinnen, wao se dann drinsatten un atten, soviël äs se konnen. Bloots Moer wüss dat, aower se löt de beiden gewährn, wull wiel dat se froh wäör, dat Bloot üöwerhaupt äs maol ‘n anneren Jungen met nao Huus brachde.

Aber nicht deswegen, und schon gar nicht wegen Bloot, war er manchmal auf dem Hof. Es ging um die Äpfel. Achterkamps hatten ein gutes Händchen für Äpfel, und er konnte sich noch genau an die Bäume erinnern, wo sie dann drinsaßen und aßen, soviel wie sie konnten. Bloots Mutter wusste das, aber sie ließ die beiden gewähren, wohl weil sie froh war, dass Bloot überhaupt mal einen anderen Jungen mit nach Haus brachte.

Dat lesste Maol aower wäör dat nich män so eenfack, wiel dat Bloot nich män in ‘e Schole wäör.

Beim letzten Mal aber war das nicht mehr so einfach, weil Bloot nicht mehr in der Schule war.

De brune Hiärm hadde in lesste Tiet immer wöster met Bloot bölket, un telesste hadde he emm ‘n paar maol anbrüllt, wat he üöwerhaupt up Schole woll, he wäör et nich wärt, nich wärt, dat ‘e in ‘e Scholbank satt.

Der „Braune Hermann“ hatte in letzter Zeit immer wüster Bloot angebrüllt, und zuletzt hatte er ihn ein paar mal angebrüllt, was er überhaupt auf der Schule wollte, er wäre es nicht wert, nicht wert, dass er in einer Schulbank saß.

 

Un dann wäör Bloot nich män nao Schole kuemmen.

Und dann war Bloot nicht mehr zur Schule gekommen.

„Blief, wao de bis, du äösig Dier!“ siä Anke leise vüör sick hen un keek stier in ‘n Gaorden. Dat goldbrune Kattendier wäör met een’ lautlosen Satz up de Gaordenmüere sprungen un keek langsam rundüm düör iährn Gaorden. Anke mogg dat Dier nich, Katten wäörn iähr unheimlick. Dat wäörn Diers, well annere Diers quiälden un met iähr spiëlden, bevüör se se daut möken. Un düt Dier plüsterde sick gärne up, dat ganze Fell stönn dann hauch un de ganze Katte säög maol so graut ut, unheimlick graut.

„Bleib, wo du bist, du dreckiges Tier!“ sagte Anke leise vor sich hin und guckte stier in den Garten. Das goldbraune Katzentier war mit einem lautlosen Satz auf die Gartenmauer gesprungen und guckte langsam rundum durch ihren Garten. Anke mochte das Tier nicht, Katzen waren ihr unheimlich. Das waren Tiere, die andere Tiere quälten und mit ihnen spielten, bevor sie sie tot machten. Und dieses Tier plusterte sich gerne auf, das ganze Fell stand dann hoch und die ganze Katze sah doppelt so groß aus, unheimlich groß.

De Heibalken. Se wäörn iärste in ‘n Sommerappelbaum wesst un haddeen vön de söten, sappigen Appeln giäten, soviël äs se konnen. Et wass naomeddaggs, un et wass ‘n sunnigen, warmen Dagg. Se satten in ‘n Appelbaum, un et wäör daudenstill, man häörde gar nicks. Bis up maol, wiet wegg, ‘n Auto te häörn wäör. Bloot keek faorts Richtung Duorp, un wiet wegg säög m’ dann auk all ‘n Auto ächter de Wallhiëge vüörkuemmen. ‘n schwatt – nich de Dierarzt, nich de Dockter. ‘n schwatt – wenn dat ‘n Auto ut ‘t Duorp wäör, dann wäör dat dat Auto vön ‘n Schandarmen.

Der Heubalken. Sie waren zuerst im Sommerapfelbaum gewesen und hatten von den süßen, saftigen Äpfeln gegessen, soviel wie sie konnten. Es war nachmittags, und es war ein sonniger, warmer Tag. Sie saßen in dem Apfelbaum, und es war totenstill, man hörte gar nichts. Bis auf mal, weit weg, ein Auto zu hören war. Bloot sah sofort in Richtung Dorf, und weit weg sah man dann auch schon ein Auto hinter der Wallhecke vorkommen. Ein schwarzes – nicht der Tierarzt, nicht der Doktor. Ein schwarzes – wenn das ein Auto aus dem Dorf war, dann war das das Auto vom Gendarmen.

Bloot wäör all met een’ Satz ut ‘n Baum sprungen un suuste up de Diäle, de Biäwer hauch un up ‘n Heibalken. He ächterdran. Dann satten se up ‘n Heibalken, ächter de grönen Giëwelluken un keeken düör de Gliemen up ‘n Hoff. Bloot höll no’ ‘n Sommerappel in ‘e Hand un dreihede emm immerto rundüm, in ‘e Hand.

Bloot war schon mit einem Satz aus dem Baum gesprungen und sauste auf die Diele, die Leiter hoch und auf den Heubalken. Er hinterher. Dann saßen sie auf dem Heubalken, hinter den grünen Giebelluken und guckten durch die Spalten auf den Hof. Bloot hielt noch einen Sommerapfel in der Hand und drehte ihn immerzu rundherum, in der Hand.

Buten tuckede sick no’ nicks. De Höhner satten unner de Eike te schrappen, ‘n biëtken afsiets de witte Hahn, un dat Auto kammp naiger. In ‘n Schwienstall wäör Bloots Vadder an ‘t Mess utschmieten.

Draußen rührte sich nichts. Die Hühner waren unter der Eiche am Kratzen, ein bischen abseits der weiße Hahn, und das Auto kam näher. Im Schweinestall war Bloots Vater am ausmisten.

Dat Auto kammp bis an ‘e Hoffinfahrt un bleef dao staohn. De Schandarm Buchmeister steeg ümständlick ut un tröck sienen Buukreimen trechte.

Das Auto kam bis an die Hofeinfahrt und blieb da stehen. Der Gendarm Buchmeister stieg umständlich aus und zog seinen Gürtel zurecht.

Se säögen, wu Bloots Vadder ut ‘n Schwienstall kammp, de Messgreepe no’ in ‘e Hand, un wu he up Buchmeisters Hinnick togönk.

Sie sahen, wie Bloots Vater aus dem Schweinestall kam, die Mistgabel noch in der Hand, und wie er auf Hinnick Buchmeister zuging.

De Höhner flüögen up, äs de Vadder iähr te naige kammp.

Die Hühner flogen auf, als der Vater ihnen zu nahe kam.

Et wäör wat Wind upkuemmen, un in ‘e Eike ruuschkede et up maol, un de beiden Jungs konnen nich män alles verstaohn, bloß jüst soviël, dat de Vadder, well ‘n klein Endken vüör de Hoffinfahrt staohnbliëben wäör un daomet Hinnick nairigde, wat wieder up denn Hoff te gaohn, Hinnick all vön wieten toröp: „Hinnick, wat wuss du bie us?“

Es war etwas Wind aufgekommen, und in der Eiche rauschte es auf einmal, und die beiden Jungen konnten nicht mehr alles verstehen, nur gerade soviel, dass der Vater, der ein kleines Stückchen vor der Hofeinfahrt stehengeblieben war und damit Hinnick nötigte, etwas weiter auf den Hof zu gehen, Hinnick schon von weitem zurief: „Hinnick, was willst du bei uns?“

Hinnick wischkede sick denn Schweet ut ‘n Nacken un kammp naiger, met rauden Kopp, wull vön ‘e Wiärmte. ‘n paar Meter vüör denn Vadder bleef Hinnick staohn. „Ick sin dienstlick hier, Willi“ föng he an, un he küerde no’ wat wieder, aower jüst nu kreihede dat dumme Hahnendier, un üöwerdess kammp jüst nu wat Wind up, et ruuschkede in ‘e Eike un de Eikenbalken vön denn ganzen Dackstohl krakeden, un so konnen se nich häörn, wat Hinnick hadde.

Hinnick wischte sich den Schweiß aus dem Nacken und kam näher, mit rotem Kopf, wohl von der Wärme. Ein paar Meter vor dem Vater blieb Hinnick stehen. „Ich bin dienstlich hier, Willi“ fing er an, und er redete noch etwas weiter, aber gerade jetzt krähte das dumme Hahnentier, und außerdem kam gerade jetzt etwas Wind auf, es rauschte in der Eiche und die Eichenbalken des ganzen Dachstuhls knarzten, und so konnten sie nicht hören, was Hinnick hatte.

Anke wüerd grötter un grötter, iähr Stohl schüöf sick leise trügge. Up de Ellenbüögens stütt, keek se in ‘n Gaorden. Dat goldbrune Undier wäör met ‘nen Satz mitten in ‘n Gaorden sprungen un keek sick, unfüörmig dick upplüstert, luernd üm. Dann gönk et sachte loss, geduckt, geschmeidig, gefäöhrlick.

Anke wurde größer und größer, ihr Stuhl schob sich leise zurück. Auf die Ellbogen gestützt, guckte sie in den Garten. Das goldbraune Untier war mit einem Satz mitten in den Garten gesprungen und sah sich, unförmig dick aufgeplustert, lauernd um. Dann ging es langsam los, geduckt, geschmeidig, gefährlich.

Bloots Vadder stönn, he röehrde sick nich, un Hinnerk küerde up emm in. De Vadder pöck de Greepe faster un gönk langsam wieder up Hinnick to. Se säögen, dat he up ‘ne ungewuehnte, staksige Wiese gönk, baole so, äs wenn he äs ‘ne Puppe an Bändkes höng. Un se säögen, dat he up Maol kriedewitt aftröck, un de beiden Kerls stönnen sick kiëgenüöwer, de bleeke Vadder un Hinnick, dick, schweetend met ‘n puterrauden Kopp. De Vadder wäör ‘n ganzen Kopp klenner äs Hinnick, he moss hauch upkieken, un so stönnen de beiden dao, Hinnick küerde immer no’, un de Vadder reckede sick in ‘e Längte. He verfiärbede sick, de ganze Kopp kreeg up Maol wier Farbe, he wüerd jüst so puterraut äs Hinnick, un he hadde de Greepe packed up ‘ne Wiese, äs wenn he se Hinnick in ‘n Balg jagen woll. Hinnick säög dat ut ‘n Augenwinkel un tratt unwillküerlick ‘n Schritt trügge. Mitdes häörden se denn Vadder brüllen, so laut, wu m’ emm dat gar nich todruen soll, he brüllde, wat he bloß ruutbrengen konn, met dunkelrauden Kopp, de Halsaodern wiet vüörstaohnd, de Augen tokniëpen, de Greepe in ‘e Hand: Bis du wänne vön ‘n Hoff? Bis du no’ nich wegg? Bis du no’ nich wegg?

Bloots Vater stand, er rührte sich nicht, und Hinnerk redete auf ihn ein. Der Vater packte die Mistgabel fester und ging langsam weiter auf Hinnick zu. Sie sahen, dass er auf eine ungewohnte, staksige Weise ging, fast so, als wenn er wie eine Puppe an Fäden hing. Und sie sahen, dass er plötzlich kreidebleich wurde, und die beiden Männer standen sich gegenüber, der bleiche Vater und Hinnick, dick, schwitzend mit puterrotem Kopf. Der Vater war einen ganzen Kopf kleiner als Hinnick, er musste hoch aufschauen, und so standen die beiden da, Hinnick redete immer noch, und der Vater reckte sich in die Länge. Er verfärbte sich, der ganze Kopf bekam auf einmal wieder Farbe, er wurde genauso puterrot wie Hinnick, und er hatte die Mistgabel gepackt auf eine Weise, als wenn er sie Hinnick in den Wanst jagen wollte. Hinnick sah das aus dem Augenwinkel und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. In dem Moment hörten sie den Vater brüllen, so laut, wie man ihm das gar nicht zutrauen sollte, er brüllte, was er bloß rausbringen konnte, mit dunkelrotem Kopf, die Halsadern weit vorstehend, die Augen zugekniffen, die Mistgabel in der Hand: Bist du bald vom Hof? Bist du noch nicht weg? Bist du noch nicht weg?

Hinnick stüört’e trügge, rannde up ‘t Auto to, he rannde, so schnell äs he konn, sprüng in ‘t Auto un stüöf wegg, so schnell äs he konn. De Vadder stönn dao up ‘n Hoff, äs wenn ‘e sick nich män weggen konn, he stierde, up ‘ne schlimme Wiese alleene un verluorn, up de Stoffwolke, de dat Auto upwirbelde.

Hinnick stürzte zurück, rannte aufs Auto zu, er rannte, so schnell wie er konnte, sprang ins Auto und stob weg, so schnell wie er konnte. Der Vater stand da auf dem Hof, als wenn er sich nicht mehr bewegen könnte, er stierte, auf eine schlimme Weise allein und verloren, auf die Staubwolke, die das Auto aufwirbelte.

Un dann wäör et up Maol daudenstill in ‘e Heeë. Kinn Luftzug, kinn Kreihen, kinn Kraken.

Und dann war es auf Mal totenstill in der Heide. Kein Luftzug, kein Krähen, kein Knarzen.

De Vadder stönn immer no’ dao, so, äs wenn he wat nich begriepen konn. De Schullern höngen runner, un se säögen, dat emm de Schweet vön ‘n Kopp laip. So ‘n taohen, hatten Mönsterlänner äs he – un he stönn dao, up de Greepe stütt’, ‘n ollen Mann in ‘e heete Sunne, dat Hiëmd up ‘n Puckel verkliëft, de Haore messnatt an ‘n Kopp.

Der Vater stand immer noch da, so, als wenn er etwas nicht begreifen könnte. Die Schultern hingen herunter, und sie sahen, dass ihm der Schweiß vom Kopf lief. So ein zäher, harter Münsterländer wie er – und er stand da, auf die Mistgabel gestützt, ein alter Mann in der heißen Sonne, das Hemd auf dem Rücken verklebt, die Haare klatschnass am Kopf.

Bloot keek immer no’ nao unnen up ‘n Hoff, denn Sommerappel in siene kriedebleeke Hand, un de Taoschken stüöken wiet ut ‘t witte Handgelenk vüör.

Bloot guckte immer noch nach unten auf den Hof, den Sommerapfel in seiner kreidebleichen Hand, und die Sehnen stachen weit aus dem weißen Handgelenk vor.

He dreihede sick langsam üm un keek emm an, so ‘n lück vön ‘e Siete, so ‘n lück vön unnen, un emm wäör, äs wenn he emm denn Blick in ‘t Hiärt timmerde, so keek he, met siene grauten, griesen Augen. Dann löt he sick trüggefallen in ‘t Hei un keek denn Appel in siene Hand an, ‘ne ganze Tiet. „Biäter,“ siä he, „du geihs.“

Er drehte sich langsam um und sah ihn an, so ein bischen von der Seite, so ein bischen von unten, und ihm war, als wenn er ihm den Blick ins Herz zimmerte, so guckte er, mit seinen großen, grauen Augen. Dann ließ er sich zurückfallen ins Heu und sah den Apfel in seiner Hand an, eine ganze Weile. „Besser“, sagte er, „du gehst.“

An ‘n Küekendischk stönn sien Vadder, up beide Füste upstütt’, siene Moer stönn kiëgen emm, de Augen wiet lossrett’.

Am Küchentisch stand sein Vater, auf beide Fäuste aufgestützt, seine Mutter stand neben ihm, die Augen weit losgerissen.

„Du Satansbraoden, du verdammten Satansbraoden!“, krieschkede Anke un sett ‘e, ‘n Bessen in ‘e Hand, äs ‘ne Furië de Treppen runner in ‘n Gaorden. Dat fette Kattendier satt unnern Magnolienbaum, dat goldbrune Fell löchtede in ‘e Sunne, un et dukede sick wat, so, äs wenn et Anke anspringen woll. Schwatt keek et Anke an un hackede met ‘e Pote nao denn Bessenstiël, eenmaol, tweemaol, met böset, heesterig Gefauche. De Fangtiähne löchteden schneewitt in ‘t Sietenlecht, schneewitt vüör de viëlen gleihnig rauden Klapprausen in ‘n Ächtergrund.

„Du Satansbraten, du verdammter Satansbraten!“ kreischte Anke und sprang, einen Besen in der Hand, wie eine Furie die Treppen runter in den Garten. Das fette Katzentier saß unter dem Magnolienbaum, das goldbraune Fell leuchtete in der Sonne, und es duckte sich etwas, so, als wenn es Anke anspringen wollte. Schwarz sah es Anke an und hackte mit der Pfote nach dem Besenstiel, einmal, zweimal, mit bösem, heiseren Gefauche. Die Fangzähne leuchteten schneeweiß im Seitenlicht, schneeweiß vor dem vielen glühend roten Klatschmohn im Hintergrund.

Un dann, dann dreihede sick de goldbrune Deibelskatte üm un sprüng met lautlose Sätze wegg.

Und dann, dann drehte sich die goldbraune Teufelskatze um und sprang mit lautlosen Sätzen weg.

Anke schlög met ‘n Bessenstiël ächter iähr hiär un brüllde iähr nao: „Ick sall die helpen, du fullfriätene Satan, lao die bie us nie wier seihn!“ Jau, siene Anke konn richtig brasstig wärn.

Anke schlug mit dem Besenstiel hinter ihr her und brüllte ihr nach: „Ich werd dir helfen, du vollgefressener Satan, lass dich bei uns nie wieder blicken!“ Ja, seine Anke konnte richtig wütend werden.

Ganz ächter Aom kammp se wier trügge in ‘n Wintergaorden.

Ganz außer Atem kam sie wieder zurück in den Wintergarten.

„Dao mott wat passeeren!“, siä se, „süss passeert de no’ wat. Dat naichstemaol häff se dat Vuegelnösst. Giff dat nich so Stachelkränse för Baumstämme, dat Katten dao nich haugekleien küennt?“

„Da muss was passieren!“, sagte sie, „sonst passiert da noch was. Das nächstemal hat sie das Vogelnest. Gibt es nicht so Stachelkränze für Baumstämme, damit Katzen da nicht hochklettern können?“

„Stachelkränse?“ siä he met ruher Stimme, „Stachelkränse?“ He grämsterde sick, eenmaol, tweemaol.

„Stachelkränze?“ sagte er mit rauher Stimme, „Stachelkränze?“ Er räusperte sich, einmal, zweimal.

„Stachelkränse? Siëker giff et de.“

„Stachelkränze? Sicher gibt es die.“

[veröffentlicht in „Dat Mönsterlänner Platt – Lehrbuch“, S. 150 – 153]