Literarische Texte – ProsaVerwuordelt

Verwuordelt   (vön Rudolf Averbeck – Kurznovelle]

Verwurzelt  (von Rudolf Averbeck – Kurznovelle)

De Zeitung lagg, jüst so äs jeden Muorn, vör Kurt up ‘n Dischk, aower liäsen, liäsen dää Kurt nich. Emm wäör nich nao liäsen temode, nich vöndage. Emm kiëgenüöwer satt siene Petra un kliäterde mit ‘n Liëpelken in iährn Kaffeepott. De beiden satten, jüst so äs jeden Muorn, in iähren Wintergaorden. Beide schweegen.

Die Zeitung lag, genauso wie jeden Morgen, vor Kurt auf dem Tisch, aber lesen, lesen tat Kurt nicht. Ihm war nicht nach lesen zumute, nicht heute. Ihm gegenüber saß seine Petra und klimperte mit einem Löffelchen in ihrem Kaffeepott. Die beiden saßen, genau so wie jeden Morgen, in ihrem Wintergarten. Beide schwiegen.

Kurt keek nao buten, he bekeek sick dat Spiël vön Lecht un Schatten in sienen Gaorden vör denn Wintergaorden. Siene olle Gaordenbank stönn dampend un drüppend in ‘t Sunnenlecht. Schwaore, urolle Eike. Hadde he söwwes timmert vör vettig Jaohr, ut eegen Holt, ut eegenen Buschk. De Eike hadde he eegenhännig dedalekriëgen. An de vettig Meter hauch, stolt, stäödig, liekwassen, an de tweehunnert Jaohresringe.

Kurt sah nach draußen, er besah sich das Spiel von Licht und Schatten in seinem Garten vor dem Wintergarten. Seine alte Gartenbank stand dampfend und tropfend im Sonnenlicht. Schwere, uralte Eiche. Hatte er selbst gezimmert vor vierzig Jahren, aus eigenem Holz, aus eigenem Wald. Die Eiche hatte er eigenhändig gefällt. An die vierzig Meter hoch, stolz, unbeugsam, gerade gewachsen, an die zweihundert Jahresringe.

De halwe Gaorden lagg noch stiefwitt fruorn in ‘n Schatten, aower de ännere Hälfte blenkede un glemmerde all in dat gleihnige Lecht vön de höggerstiegende Sunne. De witte Ruufuorst up de rauden un giälen Blader schmölt in ‘t Sunnenlecht, Daudrüppen blitzeden up un föllen up denn fuorstwitten Rasen, up sienen Rasen, denn he all de Jaohre söwwes maihet hadde, sommerdaggs tweemaol un hiärfstdaggs eenmaol de Wiäke. Af un an föllen iärste Blader sachte ut de Baime. Ut de Baime, de he söwwes, mit eegene Hand, puot‘ hadde, tesammen mit Petra. Sien Liäben lang wäör he stolt wesst up sienen Gaorden. Wat häbbt hier Blomen bleihet, wat häff Petra hier nich alles an Gemös trocken, wat häbbt de Kinner in düssen Gaorden spiëlt, wat häbbt hier Vüegel brott‘ un vör Dagg un Dage rümspektakelt! Un nu hönk üöwer sienen oltvertruuten Gaorden deipe Stille. Daudenstille.

Der halbe Garten lag noch steifweiß gefroren im Schatten, aber die andere Hälfte blitzte und glitzerte schon im glühenden Licht der höhersteigenden Sonne. Der weiße Raureif auf den roten und gelben Blättern schmolz im Sonnenlicht, Tautropfen blitzten auf und fielen auf den frostweißen Rasen, auf seinen Rasen, den er all die Jahre selbst gemäht hatte, im Sommer zweimal und im Herbst einmal die Woche. Ab und zu fielen erste Blätter sanft aus den Bäumen. Aus den Bäumen, die er selbst, mit eigener Hand, gepflanzt hatte, zusammen mit Petra. Sein Leben lang war er stolz gewesen auf seinen Garten. Was haben hier Blumen geblüht, was hat Petra hier nicht alles an Gemüse gezogen, was haben die Kinder in diesem Garten gespielt, was haben hier Vögel gebrütet und frühmorgens herumspektakelt! Und jetzt hing über seinem altvertrauten Garten tiefe Stille. Totenstille.

De lesste Nacht in sien Huus wäör auk de iärste Fuorstnacht in düssen Hiärfst.

Die letzte Nacht in seinem Haus war auch die erste Frostnacht in diesem Herbst.

„Eegentlick ‘n schönen Dagg, dügg di dat nich auk?“ störde Petra de Ruhe. Aower se küerde nu maol gärne. Kurt wäör dao änners. „Kiek di dat an – de Sunne schinnt! Kurt, nu kiek doch nich so et is sowiet et geiht wieder up düssen Dagg häbbt wi doch lange noog wochtet uese Famillge treckt endlick wier dichter bie’neener endlick de Kinner un Enkelkinner dichtbie so een Dagg moss eegentlick fieërt wärn nu sägg doch äs watt, Kurt! Kurt?! Häss du üöwerhaupt tolustert?“

„Eigentlich ein schöner Tag, findest du nicht auch?“ störte Petra die Ruhe. Aber sie redete nun mal gerne. Kurt war da anders. „Guck dir das an – die Sonne scheint! Kurt – jetzt guck doch nicht so es ist soweit es geht weiter auf diesen Tag haben wir doch lange genug gewartet unsere Familie zieht endlich wieder dichter zueinander endlich die Kinder und Enkelkinder dicht bei so ein Tag müsste eigentlich gefeiert werden jetzt sag doch mal was, Kurt! Kurt?! Hast du überhaupt zugehört?“

„Jau, dat magg alle wull sien.“ Kurt löt sienen Gaorden nich ut de Augen. „De Junges dicht bie, de Enkel dicht bie – dat is dat eene End vön ‘e Mettwuorst – et giff aower auk ‘n ännern End.“ „Natürlick, Kurt, dat wiët‘ wi doch. Aower dat Liäben is kinne Mettwuorst.“

„Ja, das mag alles wohl sein.“ Kurt ließ seinen Garten nicht aus den Augen. „Die Jungs nahe bei, die Enkel nahe bei – das ist das eine Ende der Mettwurst – es gibt aber auch ein anderes Ende.“ „Natürlich, Kurt, das wissen wir doch. Aber das Leben ist keine Mettwurst.“

Kurt schüöf de Tasse wiet wegg vön sick. Vöndage woll emm de Kaffee nich schmecken, un Petras Geküer löp emm in ‘e verkährte Richtung. „Ick häff weinig schlaopen lesste Nacht. Miene lesste Nacht in mien Huus – un buten häff et fruorn.“ He dreihede sick un keek wier in sienen witten Gaorden. „Well weet, wat alles verfruorn is.“

Kurt schob die Tasse weit weg von sich. Heute wollte ihm der Kaffee nicht schmecken, und Petras Gerede lief ihm in die falsche Richtung. „Ich habe wenig geschlafen letzte Nacht. Meine letzte Nacht in meinem Haus – und draußen hat es gefroren.“ Er drehte sich und blickte wieder in seinen weißen Garten. „Wer weiß, was alles erfroren ist.“

„Kurt – dao moss du di doch gar nich men an störn.“ Petra schmeerde sick de naichste Schniëde Stuten mit Ärdbiärmarmelade. Ärdbiärmarmelade mit Ärdbiärn ut ‘n eegenen Gaorden, de Marmelade hadde se söffs kuoket.

„Kurt – da musst du dich doch gar nicht mehr dran stören.“ Petra schmierte sich die nächste Schnitte Brot mit Erdbeermarmelade. Erdbeermarmelade mit Erdbeeren aus dem eigenen Garten, die Marmelade hatte sie selbst gekocht.

„Et is nich, äs wenn ick nich upgeregt wäör“, fönk Petra wier an, „dütt is ja nu auk bie Naoheit kinn Dagg äs ännere Dage. Ick häff richtig Kribbeln in ‘n Buuk.“

„Es ist nicht, als wenn ich nicht aufgeregt wäre“, fing Petra wieder an, „dies ist ja jetzt auch mit Sicherheit kein Tag wie andere Tage. Ich habe richtig Kribbeln im Bauch.“

De Belder wäörn afhangen, de Teppich lagg uprullt an ‘e Siete un vön ‘e Diëcke hönk eene Kabellampe, dao, wao süss immer de schwaore Glasslampe hangen hadde. Et rüök so änners äs süss un et hallde üöwerall so früemd, dat sick dat Hiärt bie‘neenerkrimpede. Dat Gliäserschapp gaapede Kurt lüerig an; dat Famillgenbeld, wat vör üöwer vettig Jaohr bie iähre Hochtiet makt wurden wäör un wat all de Jaohre in ‘t Gliäserschapp staohn hadde, dat stönd nich men dao. De allermiästen vön de Verwandschupp up dat Beld wäörn mittlerwiele daut.

Die Bilder waren abgehängt, der Teppich lag aufgerollt an der Seite und von der Decke hing eine Kabellampe, da, wo sonst immer die schwere Glaslampe gehangen hatte. Es roch so anders als sonst und es hallte überall so fremd, dass sich das Herz zusammenkrampfte. Der Gläserschrank gähnte Kurt leer an, das Familienbild, das vor über vierzig Jahren bei ihrer Hochzeit gemacht worden war und das all die Jahre im Glasschrank gestanden hatte, das stand nicht mehr da. Die allermeisten der Verwandtschaft auf dem Bild waren mittlerweile tot.

In de kaole Küeke hadde Kurt an Petra denken mosst, wu se immer in ‘e Pötte röhert hadde un wu de Luft immer vull wesst wäör mit guede Rüeke. Jeden Donnersdagg Stampkartuffeln mit Summoos un Braotwuorst. Un wu oft Düörgemös! Moosgemös! Iärftenprütt! Dicke Bauhnen! Un nu? Kaolt, düster un Luft ohne guede Rüeke. Daude Luft. Een Ruum mit Naohall, eene grüülicke Küeke.

In der kalten Küche hatte Kurt an Petra denken müssen, wie sie immer in den Töpfen gerührt hatte und wie die Luft immer voll gewesen war mit guten Gerüchen. Jeden Donnerstag Stampfkartoffeln mit Sauerkraut und Bratwurst. Und wie oft Durcheinandergemüse! Grünkohlgemüse! Erbseneintopf! Dicke Bohnen! Und jetzt? Kalt, düster und Luft ohne gute Gerüche. Tote Luft. Ein Raum mit Nachhall, eine grauenhafte Küche.

De ganze Flur stönn vull mit Ümzuggkartons. Daodrin wäörn de ganzen Böker, dat ganze Porschlaiën, dat ganze Gliäserwiärks, de ganzen Bestecke, de ganzen Kaffeeserwies. Maltes Frau woll vön dat ganze Wiärks nicks häbben, gar nicks. Auk nicks vön dat uraolle Iärftüüges, wat all up hunnert Jaohr olt wäör. Malte wäör iähren Öllsten, dann hadden se noch eenen twedden Jungen, Georg. Un Georgs Frau woll jüstsoweinig irgendwatt vön dat ganze olle „Geraffel“ häbben.

Der ganze Flur stand voll mit Umzugskartons. Darin waren die ganzen Bücher, das ganze Porzellan, das ganze Gläserkram, die ganzen Bestecke, die ganzen Kaffeeservice. Maltes Frau wollte von dem ganzen Zeug nichts haben, gar nichts. Auch nichts von dem uralten Erbkram, das schon über hundert Jahre alt war. Malte war ihr Ältester, dann hatten sie noch einen zweiten Jungen, Georg. Und Georgs Frau wollte genausowenig irgendetwas von dem ganzen alten „Geraffel“ haben.

Petra keek kuort up de Wand, wao vettig Jaohr lang de Wanduhr hangen hadde. Aower de hönk dao nu nich men. Se töwede kuort, dann keek se up iähre Armbanduhr. Een Hochtietsgeschenk. „Et wätt mi hauge Tiet, Malte kümmp jeden Moment un halt mi af. De Möbelwagen mott auk wenne dao sien. Pass guet up, dat de Kiärls sachte mit uese Wiärks ümgaoht.“

Petra schaute kurz auf die Wand, wo vierzig Jahre lang die Wanduhr gehangen hatte. Aber die hing da jetzt nicht mehr. Sie zögerte kurz, dann sah sie auf ihre Armbanduhr. Ein Hochzeitsgeschenk. „Es wird mir hohe Zeit, Malte kommt jeden Moment und holt mich ab. Der Möbelwagen muss auch bald da sein. Pass gut auf, dass die Kerle vorsichtig mit unseren Sachen umgehen.“

Mitdes kammp Malte auk all rin, koppnickede sienen Vadder to un dreihede sick siene Mama to. „Alles klar bei euch? Wir sind spät dran!“, mennde he un wäör all wier buten. Kurt keek emm nao. Dat wäör dat lesste Maol, dat Malte in sien Öllernhuus wäör. Dat lesste Maol – wäör he daoför nich mächtig kuort af wesst? Beröehrde emm dat gar nich wieders?

In dem Moment kam Malte auch schon rein, nickte seinem Vater zu und drehte sich seiner Mama zu. „Alles klar bei euch? Wir sind spät dran!“, meinte er und war schon wieder draußen. Kurt sah ihm nach. Das war das letzte Mal, dass Malte in seinem Elternhaus war. Das letzte Mal – war er dafür nicht mächtig kurz ab gewesen? Berührte ihn das gar nicht weiter?

Petra streek iähren Kurt düör de Haore un siä leise to emm, so ‘n biëtken so, äs man mit lütke Blagen küert: „De lessten Jaohre hier wäörn doch ‘n Schiët, so wiet wegg vön uese Blagenvolk. Sass äs seihn – nu wätt et biäter.“ – „Dat magg alle wull sien“, flüsterde Kurt leise vör sick hen, mähr to sick söffs äs to Petra, „aower wu häbbt se fröher all immer säggt? ‘n ollen Baum kann man nich men verpuoten.“

Petra strich ihrem Kurt durch die Haare und sagte leise zu ihm, so ein wenig so, wie man mit kleinen Kindern redet: „Die letzten Jahre hier waren doch ein Scheiß, so weit weg von unseren Kindern. Sollst mal sehen – jetzt wird es besser.“ – „Das mag alles wohl sein“, flüsterte Kurt leise vor sich hin, mehr zu sich selbst als zu Petra, „aber wie haben sie früher schon immer gesagt? Einen alten Baum kann man nicht mehr umpflanzen.“

Petra stönn up. „Du denks eenfach te viël trügge.“ In ‘e Düöre dreihde se sick noch maol üm. „Dreih di nich üm, Kurt, kiek leiwer nao vüörne! Man sall nich trüggekieken, un in uese Oller draff man üöwerhaupt nich men trüggekieken. Dat mäck alles bloß noch leiger.“

Petra stand auf. „Du denkst einfach zu viel zurück.“ In der Tür drehte sie sich noch einmal um. „Dreh dich nicht um, Kurt, guck lieber nach vorn! Man soll nicht zurückgucken, und in unserem Alter darf man überhaupt nicht mehr zurückgucken. Das macht alles nur noch schlimmer.“

Kurt aomde deip un koppnickede, gaff aower kinne Antwaort men, un Petra wäör auk all wegg. In dat nieë Hüsken moss noch eeniges vörbereit‘ wärn, ähr äs de ganze Huusstand inrüümt wärn konn.

Kurt atmete tief und nickte, gab aber keine Antwort mehr, und Petra war auch schon weg. In dem neuen Häuschen musste noch einiges vorbereitet werden, ehe der ganze Hausstand eingeräumt werden konnte.

Nu wäör he halleene, un de ollen Tieten krüöpen üöwerall ut de Wände rut. De gueden Tieten, äs se jung verhiëraot‘ wäörn, äs de Kinner klein wäörn. De schlechten Tieten, äs Petra so krank wäör, äs de Daudesnaorichten vön Frönde un Öllern kammen. Un nich te vergiäten de brasstigen Tieten, äs et up de Arbeid rundgönk, äs he de Firma wesselt häff.

Jetzt war er allein, und die alten Zeiten krochen überall aus den Wänden heraus. Die guten Zeiten, als sie jung verheiratet waren, als die Kinder klein waren. Die schlechten Zeiten, als Petra so krank war, als die Todesnachrichten von Freunden und Eltern kamen. Und nicht zu vergessen die zornigen Zeiten, als es auf der Arbeit rundging, als er die Firma gewechselt hat.

Dat Upstaohn vön ‘n Dischk föll Kurt schwaor. De Jüngste wäör he schließlick auk nich men. In lesster Tiet hadde he sick üöwerdes immer inbellt, dat jedes Maol dann, wenn he de Föte up sienen Buoden stellde, Wuordeln ut de Schohe harutwössen un in sienen Grund inwuordelden, un bie ‘t Upstaohn moss he siene verwuordelten Föte reddeweggten mit Gewollt ut sienen Grund rutreiten.

Das Aufstehen vom Tisch fiel Kurt schwer. Der Jüngste war er schließlich auch nicht mehr. In letzter Zeit hatte er sich außerdem immer eingebildet, dass jedes Mal dann, wenn er die Füße auf seinen Boden stellte, Wurzeln aus den Schuhen herauswuchsen und in seinem Grund einwurzelten, und beim Aufstehen musste er seine verwurzelten Füße geradezu mit Gewalt aus seinem Grund herausreißen.

Langsam, ganz langsam tröck Kurt sick sien warmet Winterwams üöwer un tratt vüör Düöre. De Düöre lagg in ‘n Schatten, sien Aom stönn gries vör sien Gesicht un würd vön eenen lichten Luftzugg sachte weggtrocken. He gönk up siene Gaordenbank to, un et würd schlaggartig wiärmer, äs he ut denn Schatten ruutkammp un sick hensett’e. De Aom vör sien Gesicht wäör nu wegg, un sien guedet, ollet Huus, wat he söwwes vör üöwer vettig Jaohr plant un bauet hadde, lagg half in Schatten, half in gleihnig Sunnenlecht vör emm. Jeden Steent hadde he söwwes müert, jedet Fenster söwwes insett‘, jede Dackpanne söwwes hangen. Dat Geld wäör knapp wesst, dao moss man söwwes topacken. Un immer hadde siene Petra mittrocken. Dat dään daomoss de weinigsten Fraulüe.

Langsam, ganz langsam zog Kurt sich seine warme Winterjacke über und trat vor die Tür. Die Tür lag im Schatten, sein Atem stand grau vor seinem Gesicht und wurde von einem leichten Luftzug sanft weggezogen. Er ging auf seine Gartenbank zu, und es wurde schlagartig wärmer, als er aus dem Schatten herauskam und sich hinsetzte. Der Atem vor seinem Gesicht war jetzt weg, und sein gutes, altes Haus, das er selbst vor über vierzig Jahren geplant und gebaut hatte, lag halb im Schatten, halb im glühenden Sonnenlicht vor ihm. Jeden Stein hatte er selbst gemauert, jedes Fenster selbst eingesetzt, jede Dachpfanne selbst gehängt. Das Geld war knapp gewesen, da musste man selbst zupacken. Und immer hatte seine Petra mitgemacht. Das machten damals die wenigsten Frauen.

Et würd laut in de kleine Straote, äs de graude Möbelwagen üm de Ecke boggde un vör sien Huus staohnbleef. Kurt nickede de veer Kiärls, well utsteegen, kuort to, bleef aower sitten. Twee kannde he vön gistern, de hadden de Küeke un een paar Schäppe ut’neenerbaut. Äs se de grauden Ächterdüörn vön denn Möbelwagen lössstellden, dao konn he deip in denn lüerigen Laderuum rinkieken.

Es wurde laut in der kleinen Straße, als der große Möbelwagen um die Ecke bog und vor seinem Haus stehen blieb. Kurt nickte den vier Männern, die ausstiegen, kurz zu, blieb aber sitzen. Zwei kannte er von gestern, die hatten die Küche und ein paar Schränke auseinandergebaut. Als sie die großen Hintertüren des Möbelwagens öffneten, da konnte er tief in den leeren Laderaum hineingucken.

De Kiärls föngen mit de Küeke an. Hauchschränke, Dunstafzuggshaube, Unnerschränke un alles ännere wäörn binnen een paar Minuten an Kurt vörbiedruogen un inladt. 25.000 Mark hadde de Küeke daomoss kost. „Das mag wohl sein, dass es diese Qualität heute nicht mehr gibt“, hadden siene Schwiegerdöchter säggt, „aber haben wollen wir die Küche nicht.“ Se hadden ja schließlick auk eegene Küeken. Un siene Petra hadde eegentlick ‘ne nieë Küeke häbben wollt – Qualität hen, Qualität hiär – aower se hadde kinne finnen konnt, well se lieën moch. „Man soll meinen, dat et vöndage nicks Gescheitet men giff“, hadde se telesste säggt. Un nu kammp de guede olle 25.000 Mark-Küeke mit in dat nieë Hüsken. Bloß de Arbeitsplatte moss nie kuemmen, de olle wäör nao vettig Jaohrn doch wat unanseihnlick wurden.

Die Kerle fingen mit der Küche an. Hochschränke, Dunstabzugshaube, Unterschränke und alles andere waren innerhalb von ein paar Minuten an Kurt vorbeigetragen und eingeladen. 25.000 Mark hatte die Küche damals gekostet. „Das mag wohl sein, dass es diese Qualität heute nicht mehr gibt“, hatten seine Schwiegertöchter gesagt, „aber haben wollen wir die Küche nicht.“ Sie hatten ja schließlich auch eigene Küchen. Und seine Petra hatte eigentlich eine neue Küche haben wollen – Qualität hin, Qualität her – aber sie hatten keine finden können, die sie leiden mochte. „Man sollte meinen, dass es heutzutage nichts Gescheites mehr gibt“, hatte sie zuletzt gesagt. Und jetzt kam die gute alte 25.000-Mark-Küche mit in das neue Häuschen. Bloß die Arbeitsplatte musste neu kommen, die alte war nach vierzig Jahren doch etwas unansehnlich geworden.

De Inbau-Backuom würd up eene Sackkaore vörbieschuoben. De Glassschiebe: schwatt un kaolt. Nu. Aower fröher, dao löchtede oft noog Lecht ächter de Schiebe! Wu oft hadden daodrächter goldbruune Wiehnachtsgaise schmuort, wu oft wäörn vön hier ut herrlicke Rüeke düör dat ganze lebennige Huus trocken, un wu oft hadden fröher de Kinner un later de Enkel vör de Schiebe staohn te hüppken un froggt: „Wann ist die Gans denn endlich fertig?“

Der Einbau-Backofen wurde auf einer Sackkarre vorbeigeschoben. Die Glasscheibe schwarz und kalt. Jetzt. Aber früher, da leuchtete oft genug Licht hinter der Scheibe! Wie oft hatten dahinter goldbraune Weihnachtsgänse geschmort, wie oft waren von hier aus herrliche Gerüche durch das ganze lebendige Haus gezogen, und wie oft hatten die Kinder und später die Enkel vor der Scheibe gestanden zu hüpfen und gefragt: „Wann ist die Gans denn endlich fertig?“

Kurt ruttkede ‘n lück up de Bank hen un hiär un leggde denn Kopp kommodig an de hauge Rüggenlehne trügge. Genau so hadde he dusende Maolen up siene Bank siäten, miäst aoms nao de Arbeid. Miäst hadde dann Petra kiëgen emm siäten.

Kurt rutschte etwas auf der Bank hin und her und legte den Kopf bequem an die hohe Rückenlehne zurück. Genau so hatte er tausende Male auf seiner Bank gesessen, meist abends nach der Arbeit. Meist hatte dann Petra neben ihm gesessen.

De Gardrobe würd vön rautköppige Kiärls vörbiedruogen un verschwünd in denn Möbelwagen. Hadden Petra un he kuort vör de Hochtiet kofft.

Die Garderobe wurde von rotköpfigen Männern vorbeigetragen und verschwand im Möbelwagen. Hatten Petra und er kurz vor der Hochzeit gekauft.

Dann dat Schohschapp ut ‘n Wintergaorden. Schwaore Eike. Dao pössen achtunvettig Paar Schohe un veer Paar Stiëwel rin. Hadde he söffs baut, ut desölwige Eike äs de Gaordenbank. Verschwünd in denn Möbelwagen.

Dann der Schuhschrank aus dem Wintergarten. Schwere Eiche. Da passten achtundvierzig Paar Schuhe und vier Paar Stiefel rein. Hatte er selbst gebaut, aus derselben Eiche wie die Gartenbank. Verschwand im Möbelwagen.

Dann dat Speigel ut ‘t Treppenhuus. Dreiflüegelig. Dao konn man sick auk vön ‘e Siete un vön ächten in bekieken. Dat düerste Speigel, wat domoss te kriegen wäör, mähr äs 1.500 Mark. Schwankede tüschken twee schnubende Kiärls in denn Möbelwagen rin.

Dann der Spiegel aus dem Treppenhaus. Dreiflügelig. Da konnte man sich auch von der Seite und von hinten begucken. Der teuerste Spiegel, der damals zu bekommen war, mehr als 1.500 Mark. Schwankte zwischen zwei schnaubenden Kerlen in den Möbelwagen rein.

De Schriefdischk strumpelde an emm vörbie. Schnubende Kiärls mit raude Köppe wäörn nich te seihn, aower daodrüöwer wünnerde sick Kurt miärkwürdigerwiese gar nich.

Der Schreibtisch stolperte an ihm vorbei. Schnaubende Männer mit roten Köpfen waren nicht zu sehen, aber darüber wunderte sich Kurt merkwürdigerweise gar nicht.

Auk dat Vitrinenschapp stöckelde ganz halleen, hauchniësig äs immer, up denn Möbelwagen to. Up de Anrichte hadde vör fiewendiärtig Jaohrn te Wiehnachten de Holtiesenbahn vön Malte staohn, eene bunte Lokomotive mit eene lange Riege Wagens drächter. „Kiek äs an, sogar een Langholtwagen is debie“, hadde Onkel Paul lachet. Un sachte stolzeerde dat Vitrinenschapp, ohne sick ümtekieken, in denn Möbelwagen rin.

Auch der Vitrinenschrank stöckelte ganz allein, hochnäsig wie immer, auf den Möbelwagen zu. Auf der Anrichte hatte vor fünfunddreißig Jahren zu Weihnachten die Holzeisenbahn von Malte gestanden, eine bunte Lokomotive mit einer langen Reihe Wagen dahinter. „Guck mal an, sogar ein Langholzwagen ist dabei“, hatte Onkel Paul gelacht. Und vorsichtig stolzierte der Vitrinenschrank, ohne sich umzusehen, in den Möbelwagen hinein.

Mit jedet Deel ut iähr Huus tröck een Deel vön iähr Liäben vörbie, vön iähr Liäben, dat se tesammen düörliäft, nich selten auk düörliëten hadden.

Mit jedem Teil aus ihrem Haus zog ein Teil ihres Lebens vorbei, von ihrem Leben, das sie zusammen durchlebt, nicht selten auch durchlitten hatten.

Dat Biestelldischken schwiäwede schwiegend vörbie, alle drei Beene guet eenen halwen Meter üöwer Grund. Wäör vör üöwer 35 Jaohrn een Sonderangebott wesst, dao hadden he un Petra noch te Miete wuehnt. Dao hadde immer de Wiehnachtsbaum drupp staohn, all de Jaohre. Un unner denn Wiehnachtsbaum hadde immer de urolle Krippe staohn, vön Kurts Opa. De Krippe wäör noch ut de Tiet vör denn iärsten Wiältkrieg. Un nu wäör se in eene vön de Ümzuggskisten. Un de Ümzuggskisten flüögen ganz sinnig, eene nao de ännere, ut ‘n Huus rut, gleeten fröndlick an emm vörbie un löseden sick in dat schwatte Lock ächter de gewaltigen Düörn vön denn Möbelwagen in Nicks up.

Das Beistelltischchen schwebte schweigend vorbei, alle drei Beine gut einen halben Meter über Grund. War vor über 35 Jahren ein Sonderangebot gewesen, da hatten er und Petra noch zur Miete gewohnt. Da hatte immer der Weihnachtsbaum drauf gestanden, all die Jahre. Und unter dem Weihnachtsbaum hatte immer die uralte Krippe gestanden, von Kurts Opa. Die Krippe war noch aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Und jetzt war sie in einer der Umzugskisten. Und die Umzugskisten flogen ganz nachdenklich, eine nach der anderen, aus dem Haus heraus, glitten freundlich an ihm vorbei und lösten sich in dem schwarzen Loch hinter den gewaltigen Türen des Möbelwagens in Nichts auf.

De graude Wuehnzimmerdischk. Wenn de uttrocken wäör, dann pöss dao de ganze Famillge dran, alle vetteihn Lüe. Up düssen Dischk hadden immer de Wiehnachtsteller staohn, up düssen Dischk hadden immer de Geschenke liägen, auk de Geschenke vön de Junges för Petra un emm. De wunnerschöne Lastwagen, denn Malte mit fief Jaohr för emm timmert hadde, stönn so dütlick vör siene Augen, äs wenn et lesste Wiäke wesst wäör. Un wu viële, wu viële vön de Verwandten un Frönde, de mit iähr an düssen Dischk siäten, giäten, küert un lachet häbbt, sind all lange daut!

Der große Wohnzimmertisch. Wenn der ausgezogen war, dann passte da die ganze Familie dran, alle vierzehn Leute. Auf diesem Tisch hatten immer die Weihnachtsteller gestanden, auf diesem Tisch hatten immer die Geschenke gelegen, auch die Geschenke der Jungs für Petra und ihn. Der wunderschöne Lastwagen, den Malte mit fünf Jahren für ihn gezimmert hatte, stand so deutlich vor seinen Augen, als wenn es letzte Woche gewesen wäre. Und wie viele, wie viele der Verwandten und Freunde, die mit ihnen an diesem Tisch gesessen, gegessen, geredet und gelacht haben, sind schon lange tot!

De Dischk schwiäwede nich, daoför wäör he te schwaor, näi, he stappkede up siene dicken Beene, lichtfötiger, äs man emm dat totruuen soll. He nickede Kurt verständnisvull to un tröck ganz sachte un bedächtig in denn unwies grauden Möbelwagen in. De Stöhle wippkeden up iähre dünnen Beenkes lichtfötig an emm vörbie, weigeden sick to eene Mussik, de Kurt nich häörn konn – un dann verschwünnen auk se in denn Möbelwagen. So ganz genau konn Kurt dat nich seihn, aower he mennde, dat de Stöhle sick söwwes upstapelden.

Der Tisch schwebte nicht, dazu war er zu schwer, nein, er stapfte auf seinen dicken Beinen, leichtfüßiger, als man ihm das zutrauen sollte. Er nickte Kurt verständnisvoll zu und zog ganz vorsichtig und bedächtig in den gewaltig großen Möbelwagen ein. Die Stühle hüpften auf ihren dünnen Beinchen leichtfüßig an ihm vorbei, wiegten sich zu einer Musik, die Kurt nicht hören konnte – und dann verschwanden auch sie im Möbelwagen. So ganz genau konnte Kurt das nicht sehen, aber er meinte, dass die Stühle sich selbst aufstapelten.

Dat Schlaopzimmer. Een Iärfstück, Jugendstil. Binnen massive Eike, buten düsteret Mahagoni. De Nachtschränkskes suuseden ut ‘n Huuse rut un schuckelden vüörbi. Mahagoniholt mit Messingbeschliäge un Messingschlüedel, witte Marmorplatten buom drupp. Sien Liäben lang hadde daodrupp de steenolle Wecker staohn, well emm trüülick jeden Arbeidsdagg üm half sess ut ‘t Bedde rutschräpelt häff. „Wachwerden! Mama, du sollst endlich wach werden!“ röp dat eene Nachtschränksken dat ännere to, aower dat tröck all mit Wecker, well utgeriäknet nu laut schräpeln moss, in denn Möbelwagen in.

Das Schlafzimmer. Ein Erbstück, Jugendstil. Innen massive Eiche, außen düsteres Mahagoni. Die Nachtschränkchen sausten aus dem Haus und schaukelten vorbei. Mahagoniholz mit Messingbeschlägen und Messingschlüssel, weiße Marmorplatten oben drauf. Sein Leben lang hatte darauf der steinalte Wecker gestanden, der ihn treulich jeden Arbeitstag um halb sechs aus dem Bett herausgeschrillt hat. „Wachwerden! Mama, du sollst endlich wach werden!“ rief das eine Nachtschränkchen dem anderen zu, aber das zog schon mit Wecker, der ausgerechnet jetzt laut schrillen musste, in den Möbelwagen ein.

Gottdank wäör daomit dat Geschräpel an ‘n End, un dat graude Dubbelbedde schüöf sick düör de Huusdüör rut. Wieso wäör dat nich ut‘neenerbaut? So pöss dat doch gar nich in denn Möbelwagen? Un dat pöss doch eegentlick auk gar nich düör de Huusdüör düör? Kurt bleef kinn Tiet, daodrüöwer naotedenken. Krakend un schnubend bleef dat graude Bedde jüst vör emm staohn, un wier häörde he, vön ganz ächten ut denn Möbelwagen rut, dat Ropen vön dat Nachtschränksken: „Mama, wachwerden, werd doch endlich wach!“ Kurt moss sick uprischken, üm dat Bedde biäter seihn te küennen. Siene Petra lagg in dat Bedde un schlöp deip un faste, ganz klein un kriedewitt, un vör iähr stönn Georg – komischkerwiese in sienen ollen Kinnerschlaopanzugg – un tröck an iähre Hand. Georg wäör klein, vlicht fief Jaohr olt, un rett’e mit aller Gewolt an Petras Hand, daobie röp he immer wier vertwiebelt „Mama, wachwerden! Mama!“ Aower Petra röherde sick nich.

Gottseidank war damit das Geschrille zu Ende, und das große Doppelbett schob sich durch die Haustür heraus. Wieso war das nicht auseinandergebaut? So passte das doch gar nicht in den Möbelwagen? Und das passte doch eigentlich auch gar nicht durch die Haustür durch? Kurt blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Knarrend und schnaubend blieb das große Bett direkt vor ihm stehen, und wieder hörte er, von ganz hinten aus dem Möbelwagen heraus, das Rufen des Nachtschränkchens: “Mama, wachwerden, werd doch endlich wach!“ Kurt musste sich aufrichten, um das Bett besser sehen zu können. Seine Petra lag in dem Bett und schlief tief und fest, ganz klein und kreideweiß, und vor ihr stand Georg – komischerweise in seinem alten Kinderschlafanzug – und zog an ihrer Hand. Georg war klein, vielleicht fünf Jahre alt, und riss mit aller Gewalt an Petras Hand, dabei rief er immer wieder verzweifelt „Mama, wach werden! Mama!“ Aber Petra rührte sich nicht.

Langsam, ganz langsam kammp Kurt to Verstand. He hadde schwaoret, wünnerlick Wiärks drommt, – aower nu wäör he up maol wacke un satt uprecht in ‘t Bedde. Georg stönn an Petras Bedde un wäör an ‘t Ropen, un Petra tuckede sick nicks. Kurt dää alles weh. De lange Fahrradtour gistern mit Petra un de Kinner satt emm derbe in ‘e Knuoken, un et säög so ut, äs wenn se auk för Petra mit iährn Zucker te viël wesst wäör.

Langsam, ganz langsam kam Kurt zu Verstand. Er hatte schweres, wunderliches Zeug geträumt, – aber jetzt war er auf mal wach und saß aufrecht im Bett. Georg stand an Petras Bett und war am Rufen, und Petra bewegte sich nicht. Kurt tat alles weh. Die lange Fahrradtour gestern mit Petra und den Kindern saß ihm heftig in den Knochen, und es sah so aus, als wenn sie auch für Petra mit ihrem Zucker zu viel gewesen wäre.

„Ma-ma, Ma-ma!“ röp Georg, wier un immer wier, un de Naut vön denn Lüttken tröck Kurt dat Hiärt tesammen. Well weet, wu lange de Lüttke dao all stönd te ropen. Mit ‘n Maol miärkede Georg, dat sien Papa wacke wurden wäör, un dreihede sick emm to: „Mama will gar nicht wach werden.“ De Lüttke, Träönen in ‘e Augen, löt Petras Hand nich löss.

„Ma-ma, Ma-ma!“ rief Georg, wieder und immer wieder, und die Not des Kleinen zog Kurt das Herz zusammen. Wer weiß, wie lange der Kleine da schon stand zu rufen. Auf einmal merkte Georg, dass sein Vater wach geworden war, und drehte sich ihm zu. „Mama will gar nicht wach werden.“ Der Kleine, Tränen in den Augen, ließ Petras Hand nicht los.

Et wass half veer, buten wass et pickendüster, un de Wecker tickede so laut un gliekmäötig äs immer. Petra aomde, aower se tuckede sick nich, se lagg dao, klein, kriedewitt un ieskaolt.

Es war halb vier, draußen war es stockdunkel, und der Wecker tickte so laut und gleichmäßig wie immer. Petra atmete, aber sie rührte sich nicht, sie lag da, klein, kreideweiß und eiskalt.

Üöwer füfftig Kilometer mit Fahrrad – un de Lüttken wäörn mit iähre Rädkes denn ganzen Wegg mitföhert, denn ganzen Dagg lang.

Über fünfzig Kilometer mit dem Fahrrad – und die Kleinen waren mit ihren Rädchen den ganzen Weg mitgefahren, den ganzen Tag lang.

Kurt halde eene Cola ut ‘n Kühlschrank un güöt Petra sachte wat in’n Mund. Aower Petra schlukede nich. Dat Petra maol deip dran wäör, dat kammp all maol vör. Aower dat se nich schlukede, dat hadde he noch nich beliäfd. Un Georg stönn immer noch kiëgen iähr Bedde un roppde immer noch immer wier „Mama, Mama, werd doch endlich wach!“

Kurt holte eine Cola aus dem Kühlschrank und goss Petra vorsichtig etwas in den Mund. Aber Petra schluckte nicht. Dass Petra mal tief dran war, das kam schon mal vor. Aber dass sie nicht schluckte, das hatte er noch nicht erlebt. Und Georg stand immer noch neben ihrem Bett und rief immer noch immer wieder „Mama, Mama, wird doch endlich wach!“

Dann wäör de Dockter unnerweggens.

Dann war der Doktor unterwegs.

„Komm, Georg“, tröck Kurt sienen Fiefjäöhrigen vön Petra löss, „vielleicht muss Mama ins Krankenhaus. Wir sagen Malte Bescheid.“

„Komm, Georg“, zog Kurt seinen Fünfjährigen von Petra weg, „vielleicht muss Mama ins Krankenhaus. Wir sagen Malte Bescheid.“

Georg keek emm scheef vön unnen an un schlukede, ächter Aom un ‘n lück heesterig. „Papa, weißt du was? Ich habe geträumt, dass Mama tot in ihrem Bett liegt.“ schnuppkede he leise. „Ich habe solche Angst gehabt. Und dann bin ich ganz schnell aufgestanden und nach Mama gelaufen. Und jetzt will Mama gar nicht wach werden.“

Georg sah ihn schief von unten an und schluckte, außer Atem und etwas heiser. „Papa, weißt du was? Ich habe geträumt, dass Mama tot in ihrem Bett liegt.“ schluchzte er leise. „Ich habe solche Angst gehabt. Und dann bin ich ganz schnell aufgestanden und nach Mama gelaufen. Und jetzt will Mama gar nicht wach werden.“

Kurt streek denn Lüttken düör de Haore, dann nammp he emm up de Arms. Malte stönn kiëgen iähr un keek verschlaopen un verschreckt üm sick.

Kurt strich dem Kleinen durch die Haare, dann nahm er ihn auf die Arme. Malte stand neben ihnen und guckte verschlafen und erschrocken um sich.

„Hast du so etwas schon mal eher geträumt?“ froggde Kurt Georg un drückede denn Lüttken faste an sick. De Lüttkede biëbede vör Külde.

„Hast du so etwas schon mal eher geträumt?“ fragte Kurt Georg und drückte den Kleinen fest an sich. Der Kleine zitterte vor Kälte.

„Nein“, koppschudde he un klapperde mit de Tiähne, „noch nie. Das war heute das erste Mal.“ He leggde siene kleinen Ärmkes üm Kurts Hals un drückde emm derbe.

„Nein“, schüttelte er den Kopf und klapperte mit den Zähnen, „noch nie. Das war heute das erste Mal.“ Er legte seine kleinen Ärmchen um Kurts Hals und drückte ihn kräftig.

„Ich habe so eine Angst gehabt.“, flüsterde he un fönk nu an te grienen. „Mama soll wach werden.“

„Ich habe so eine Angst gehabt.“, flüsterte er und fing jetzt an zu weinen. „Mama soll wach werden.“

Et würd still in ‘t Schlaopzimmer.

Es wurde still im Schlafzimmer.

„Was hat Mama?“ froggde Malte leise mit wiet uprett’e Augen un klammerde sick an Kurts Been.

„Was hat Mama?“ fragte Malte leise mit weit aufgerissenen Augen und klammerte sich an Kurts Bein.

Buten flickerde blauet Lecht, un Kurt sett’e Georg sachte wier af. Twee Sanitäter in orangefarbene Uniformen un eene ganz junge Dockterschke stönnen vör Düöre.

Draußen flackerte blaues Licht, und Kurt setzte Georg sanft wieder ab. Zwei Sanitäter in orangefarbenen Uniformen und eine ganz junge Ärztin standen vor der Tür.

„Sie haben uns angerufen?“ tratten se in.

„Sie haben uns angerufen?“ traten sie ein.

„Gut, dass Sie da sind.“ höllde Kurt iähr de Butendüör löss un gönk vörran in ‘t Schlaopzimmer. „Meine Frau ist Diabetikerin. Sie ist vermutlich stark unterzuckert, sie reagiert überhaupt nicht mehr.“

„Gut, dass Sie da sind.“ Hielt Kurt ihnen die Außentür auf und ging voran ins Schlafzimmer. „Meine Frau ist Diabetikerin. Sie ist vermutlich stark unterzuckert, sie reagiert überhaupt nicht mehr.“

De Dockterschke boggde sick üöwer Petra, tröck iähr een Augenlitt hauch. „Haben Sie den Blutzucker gemessen?“

Die Ärztin beugte sich über Petra, zog ihr ein Augenlid hoch. „Haben Sie den Blutzucker gemessen?“

Daodran hadde Kurt noch gar nich dacht.

Daran hatte Kurt noch gar nicht gedacht.

„Zweiundzwanzig“, siä de Dockterschke eenen Moment later. „Das ist wirklich tief. Ich gebe sofort eine Ampulle Glukose. Passen Sie mal auf – gleich ist Ihre Frau wieder putzmunter.“ Se spritzde de Ampulle Glukose in Petras Arm, daobie gneesde se Kurt an. „So, das wars schon. Einen kurzen Moment warten – die Glukose geht direkt in den Blutkreislauf, die wirkt schnell.“

„Zweiundzwanzig“, sagte die Ärztin einen Moment später. „Das ist wirklich tief. Ich gebe sofort eine Ampulle Glukose. Passen Sie mal auf – gleich ist Ihre Frau wieder putzmunter.“ Sie spritzte die Ampulle Glukose in Petras Arm, dabei lächelte sie Kurt an. „So, das wars schon. Einen kurzen Moment warten – die Glukose geht direkt in den Blutkreislauf, die wirkt schnell.“

Aower Petra tuckede sick nich.

Aber Petra rührte sich nicht.

„Wir messen noch einmal.“ siä de Dockterschke.

„Wir messen noch einmal.“ sagte die Ärztin.

„Zwanzig“, wünnerde se sick een paar Momente later, „zwanzig. Dann eben noch einmal Glukose.“ Se gneesde Kurt wier an. „Aber dann, passen Sie mal auf! Gleich ist Ihre Frau wieder da, als wäre nichts gewesen!“

„Zwanzig“, wunderte sie sich ein paar Momente später, „zwanzig. Dann eben noch einmal Glukose.“ Sie lächelte Kurt wieder an. „Aber dann, passen Sie mal auf! Gleich ist Ihre Frau wieder da, als wäre nichts gewesen!“

Kurt stönn kiëgen dat Bedde, an jede Siete eenen vön siene Junges, un alle drei beobachteden mit graude Augen, wat mit Petra passeerde. De beiden Sanitäter stönnen dekiëgen un wochteden af.

Kurt stand neben dem Bett, an jeder Seite einen seiner Jungs, und alle drei beobachteten mit großen Augen, was mit Petra passierte. Die beiden Sanitäter standen daneben und warteten ab.

„Neunzehn – der Blutzucker fällt, trotz Glukose – das ist allerdings – ungewöhnlich.“ De Dockterschke küerde mähr to sick söwwes äs to Kurt. Un gneesen, gneesen dää se auk nich men.

„Neunzehn – der Blutzucker fällt, trotz Glukose – das ist allerdings – ungewöhnlich.“ Die Ärztin sprach mehr zu sich selbst als zu Kurt. Und lächeln, lächeln tat sie auch nicht mehr.

„Ihre Frau muss sofort in die Klinik – vorsichtshalber. Mehr Glukose habe ich auch nicht dabei.“ Se dreihede sick Kurt to. „Hat Ihre Frau irgendwelche Medikamente genommen? Vielleicht Drogen?“ Kurt koppschudde. „Nichts, mit Sicherheit nicht.“

„Ihre Frau muss sofort in die Klinik – vorsichtshalber. Mehr Glukose habe ich auch nicht dabei.“ Sie drehte sich Kurt zu. „Hat Ihre Frau irgendwelche Medikamente genommen? Vielleicht Drogen?“ Kurt schüttelte den Kopf. „Nichts, mit Sicherheit nicht.“

De Dockterschke nickede de beiden Sanitäter kuort to. Äs Petra in iähren dünnen Nachtpolter up de Trage lagg, deckede Kurt iähr noch gawwe eene warme Diëcke üöwer, un dann föherde de Rettungswagen auk all löss.

Die Ärztin nickte den beiden Sanitätern kurz zu. Als Petra in ihrem dünnen Nachthemd auf der Trage lag, deckte Kurt ihr noch schnell eine warme Decke über, und dann fuhr der Rettungswagen auch schon los.

„Ich fahre mit ins Krankenhaus“, siä Kurt to de beiden rittkebiëbenden Lüttken, „ich komme so schnell wie möglich zurück. Mama geht es bestimmt bald besser. Haltet die Tür abgeschlossen!“

„Ich fahre mit ins Krankenhaus“, sagte Kurt zu den beiden zähneklappernden Kleinen, „ich komme so schnell wie möglich zurück. Mama geht es bestimmt bald besser. Haltet die Tür abgeschlossen!“

De beiden Junges stönnen ächter de Glassschiebe vön de Huusdüör, äs Kurts Auto üm de Ecke verschwünd. Un dann wäörn se halleen , ganz halleen. „Komm, Georg“, siä Malte to Georg un packede denn Lüttken an ‘e Hand, „wir gehen solange wieder ins Bett.“ Un dat dään se dann auk.

Die beiden Jungs standen hinter der Glasscheibe der Haustür, als Kurts Auto um die Ecke verschwand. Und dann waren sie allein, ganz allein. „Komm, Georg“, sagte Malte zu Georg und packte den Kleinen an der Hand, „wir gehen solange wieder ins Bett.“ Und das taten sie dann auch.

In de Nautupnahme reekede eene Krankenschwester de junge Dockterschke eene Glukoseampulle an. „Das ist jetzt die dritte, das muss jetzt aber reichen. Normalerweise sind die Patienten nach einer einzigen schon wieder voll da.“ Se stüök mit eene kleine Lanzette in Petras Aohrläppken. „18 – und sie rührt sich nicht.“ Se schuckelde mit de eene Hand an Petras Schuller, de Fingers vön de ännere Hand an Petras Handgelenk.

In der Notaufnahme reichte eine Krankenschwester der jungen Ärztin eine Glukoseampulle an. „Das ist jetzt die dritte, das muss jetzt aber reichen. Normalerweise sind die Patienten nach einer einzigen schon wieder voll da.“ Sie stach mit einer kleinen Lanzette in Petras Ohrläppchen. „18 – und sie rührt sich nicht.“ Sie ruckelte mit der einen Hand an Petras Schulter, die Finger der anderen Hand an Petras Handgelenk.

Aower Petra tuckede sick nich. „Der Puls ist zu schwach, viel zu schwach.“ siä de Dockterschke. Kurt stönn dekiëgen und höll Petras Hand. De Hand wäör schwaor un ieskaolt, un se säög ut, äs wenn se ut Kärßenwass wäör.

Aber Petra bewegte sich nicht. „Der Puls ist zu schwach, viel zu schwach.“ Sagte die Ärztin. Kurt stand daneben und hielt Petras Hand. Die Hand war schwer und eiskalt, und sie sah aus, als wenn sie aus Kerzenwachs wäre.

De Dockterschke gaff Petra mittlerwiele de veerte Ampulle. Petra tuckede sick nich. Een paar Momente later de nieë Blotzuckerwert: 18. „Der Blutzucker stagniert – immerhin fällt er nicht weiter. Ich glaube, wir haben Ihre Frau stabilisiert.“

Die Ärztin gab Petra mittlerweile die vierte Ampulle. Petra rührte sich nicht. Ein paar Momente später der neue Blutzuckerwert: 18. „Der Blutzucker stagniert – immerhin fällt er nicht weiter. Ich glaube, wir haben Ihre Frau stabilisiert.“

De Krankenschwester würd lössschickt, wiedere Glukose-Ampullen ut de Krankenhuusaptheke te halen.

Die Krankenschwester wurde losgeschickt, weitere Glukose-Ampullen aus der Krankenhausapotheke zu holen.

Vör de fiefte Ampulle matt de Dockterschke nochmaol denn Blotzucker. „19 – immer noch viel zu niedrig. Irgendetwas stimmt hier überhaupt nicht. Hat Ihre Frau vielleicht  –  zu viel Insulin gespritzt?“

Vor der fünften Ampulle maß die Ärztin nochmals den Blutzucker. „19 – immer noch viel zu niedrig. Irgendetwas stimmt hier überhaupt nicht. Hat Ihre Frau vielleicht  –  zu viel Insulin gespritzt?“

„Das kann ich mir nicht denken, das ist zumindest noch nie vorgekommen.“, siä Kurt.

„Das kann ich mir nicht denken, das ist zumindest noch nie vorgekommen.“, sagte Kurt.

De Dockterschke tröck de fiefte Ampulle up un spritzde se. Nao eene kuorte Wiele matt se wier denn Blotzucker. „Wir sind jetzt bei 22 – nach fünf Ampullen!“ Se tröck wier dat Augenlitt hauch un löchtde mit eene Taschkenlampe in Petras Auge. Petra tuckede sick nicks.

Die Ärztin zog die fünfte Ampulle auf und spritzte sie. Nach einer kurzen Weile maß sie wieder den Blutzucker. „Wir sind jetzt bei 22 – nach fünf Ampullen!“ Sie zog wieder das Augenlid hoch und leuchtete mit einer Taschenlampe in Petras Auge. Petra rührte sich nicht.

Nao de sesste Ampulle lagg Petra bie 24. Un se tuckede sick immer noch nicks, gar nicks.

Nach der sechsten Ampulle lag Petra bei 24. Und sie rührte sich immer noch nicht, überhaupt nicht.

De junge Dockterschke streek sick dat Haor trügge. „So mache ich nicht weiter.“ Se dreihde sick de Schwester to. „Welcher Arzt hat Nachtdienst? Können Sie ihn bitte holen? Ich brauche eine zweite Meinung.“

Die junge Ärztin strich sich das Haar zurück. „So mache ich nicht weiter.“ Sie drehte sich der Schwester zu. „Welcher Arzt hat Nachtdienst? Können Sie ihn bitte holen? Ich brauche eine zweite Meinung.“

Kurt häörde denn Dockter bie ‘t Rinkuemmen in de Nautupnahme säggen: „Hab ich sechs gehört? Das gibt’s doch gar nicht.“

Kurt hörte den Doktor beim Reinkommen in die Notaufnahme sagen: „Hab ich sechs gehört? Das gibt’s doch gar nicht.“

De Stationsarzt was een Kiärl vön guet füfftig Jaohr – een Mann mit Erfahrung.

Der Stationsarzt war ein Kerl von gut fünfzig Jahren – ein Mann mit Erfahrung.

Nao eene kuorte Unnersökung koppschudde he. „Ist das Testgerät in Ordnung?“ Aower auk mit een änneret Testgerät lagg de Zucker jüst maol bie 25.

Nach einer kurzen Untersuchung schüttelte er den Kopf. „Ist das Testgerät in Ordnung?“ Aber auch mit einem anderen Testgerät lag der Zucker gerade mal bei 25.

„Ja dann – Glukose“ siä he, „was sonst? Die nächste Ampulle.“

„Ja dann – Glukose“ sagte er, „was sonst? Die nächste Ampulle.“

Un Petra kreeg de siëmte Ampulle. Un to ‘t iärste Maol reageerde se: för eenen ganz kuorten Moment rittkebiëbede se mit de Tiähne, dann lagg se wiër dao, ohne sick te tucken, ieskaolt un wassbleek.

Und Petra bekam die nächste Ampulle. Und zum ersten Mal reagierte sie: für einen ganz kurzen Moment klapperte sie mit den Zähnen, dann lag sie wieder da, ohne sich zu rühren, eiskalt und wachsbleich.

De beiden Dockters un de Krankenschwester keeken sick an. De öllere Dockter tröck de Schullern. „Weitermachen! Was sonst?“, un de jüngere spritzede de achte Ampulle. Un düttmaol tuckede sick Petra richtig, weggede de Arms un de Beene, moss derbe hoßen un fönk laut an, mit de Tiähne te rittkebiëben.

Die beiden Ärzte und die Krankenschwester sahen sich an. Der ältere Arzt zuckte mit den Schultern. „Weitermachen! Was sonst?“, und die jüngere spritze die achte Ampulle. Und diesmal zuckte Petra richtig, bewegte die Arme und Beine, musste heftig husten und begann, laut mit den Zähnen zu klappern.

„Aua“, siä se heestrig, äs de Dockterschke mit eene Lanzette in iährn Finger stüök.

„Aua“, sagte sie heiser, als die Ärztin mit einer Lanzette in ihren Finger stach.

De keek up dat Messgerät. „28 –na also, es schlägt an.“

Die blickte auf das Messgerät. „28 – na also, es schlägt an.“

De öllere Dockter höll sienen Kopp dicht vör Petras Gesicht. „Können Sie mich hören?“-„Ja“, siä Petra mit ruuer Stimme. Se rischkede sick schwaorfällig up un stütt’e sick up beide Arms af. „Mi is rattenkaolt. Wao bin ick hier?“

Der ältere Arzt hielt seinen Kopf dicht vor Petras Gesicht. „Können sie mich hören?“ – „Ja“, sagte Petra mit rauer Stimme. Sie richtete sich schwerfällig auf und stützte sich auf beiden Armen ab. „Mir ist rattenkalt. Wo bin ich hier?“

„Du bis in ‘t Krankenhuus, du wäörs mächtig deip dran. Geiht et nu wier?“ Kurt sträökskede iähr de Hande.

„Du bist im Krankenhaus, du warst mächtig tief dran. Geht es jetzt wieder?“ Kurt streichelte ihr die Hände.

Petra weggede bedaomelt denn Kopp. Se gaff kinne Antwaort. Kurt küerde de Krankenschwester an. „Kann man hier warme Getränke bekommen? Am besten Kaffee?“

Petra bewegte benommen den Kopf. Sie gab keine Antwort. Kurt sprach die Krankenschwester an. „Kann man hier warme Getränke bekommen? Am besten Kaffee?“

Een paar Minuten later drünk Petra heeten Kaffee. Mit de Wiärmte kammp dat Liäben trügge. Aower se biëwede immer noch vör Külde. „Dat mott ja heftig wesst sien. Wu lange wäör ick wegg?“ „Weinigstens annerthalf Stunden, waohrschienlick länger. Uesen Lüttken häff di funnen.“ „Georg?“ „Jau, Georg. He häff schlecht drommt. Stell di vör, he häff drommt, du laggs in ‘n Bedde un wäörs daut, un dao häff he so ‘ne Angst kriëgen, dat he faorts upstaohn is un nao di kiëken häff. Un dann konn he di nich wackekriegen.“ „Dat giff ‘t doch gar nich.“ Petra reef sick denn Kopp. „Georg is doch uesen Sunnyboy, de häff doch noch nie schlecht drommt.“ „Dat magg wull sien – jedenfalls häff he di nich wacke kriëgen un wäör an ‘t Hüülen.“

Ein paar Minuten später trank Petra heißen Kaffee. Mit der Wärme kam das Leben zurück. Aber sie bebte immer noch vor Kälte. „Das muss ja heftig gewesen sein. „Wie lange war ich weg?“ „Wenigstens anderthalb Stunden, wahrscheinlich länger. Unser Kleiner hat sich gefunden.“ „Georg?“ „Ja, Georg. Er hat schlecht geträumt. Stell dir vor, er hat geträumt, du lägst im Bett und wärst tot, und da hat er so eine Angst gekriegt, dass er sofort aufgestanden ist und nach dir gesehen hat. Und dann konnte er dich nicht wachkriegen.“ „Das gibt’s doch gar nicht.“ Petra rieb sich den Kopf. „Georg ist doch unser Sunnyboy, der hat doch noch nie schlecht geträumt.“ „Das mag wohl sein – jedenfalls hat er dich nicht wach bekommen und war am Weinen.“

De Stationsdockter un de junge Dockterschke keeken sick graut an, siän aower nicks. De Stationsarzt gönk dann wänne wier, un nao ‘ne Stunne wäör Petra endlick wier bie 85 un vullstännig klaor bie Verstand. Iähr wäör wat schwinnelig un se hadde Koppiene, aower süss gönk et iähr wier sowiet ganz guet.

Der Stationsarzt und die junge Ärztin sahen sich groß an, sagten aber nichts. Der Stationsarzt ging dann bald wieder, und nach einer Stunde war Petra endlich wieder bei 85 und vollständig klar bei Verstand. Ihr war etwas schwindelig und sie hatte Kopfschmerzen, aber sonst ging es ihr wieder soweit ganz gut.

Kurt un Petra keeken Petras Insulintäschken düör. Et wass wull so, dat se gistern aomd tatsächlick ut Verseihn twee maol Insulin spritzed hadde. De dubbelde Dosis – dat wass gefäöhrlick, liäbensgefäöhrlick. Dubbelt Insulin – kinn Wunner, dat so viël Glukose nairig wass, üm Petra wier trüggetehalen.

Kurt und Petra sahen Petras Insulintäschchen durch. Es war wohl so, dass sie gestern abend tatsächlich aus Versehen zwei mal Insulin gespritzt hatte. Die doppelte Dosis – das war gefährlich, lebensgefährlich. Doppelt Insulin – kein Wunder, dass so viel Glukose nötig war, um Petra wieder zurückzuholen.

„So sind schon Leute umgebracht worden.“ siä de Dockterschke, äs se wier vörbiekeek. „Und ihr kleiner Sohn träumt, dass seine Mutter tot ist – ein Albtraum bei einem Kind, das sonst nie Albträume hat. Sachen gibt’s … wirklich kaum zu glauben. Danken Sie Ihrem Sohn, dass er sie gefunden hat.“

„So sind schon Leute umgebracht worden.“ sagte die Ärztin, als sie wieder vorbeischaute. „Und ihr kleiner Sohn träumt, dass seine Mutter tot ist – ein Albtraum bei einem Kind, das sonst nie Albträume hat. Sachen gibt’s … wirklich kaum zu glauben. Danken Sie Ihrem Sohn, dass er sie gefunden hat.“

Se woll Petra gärne för drei Dage „zur Beobachtung“ in ‘t Krankenhuus haolen, aower Petra lehnde af.

Sie wollte Petra gerne für drei Tage „zur Beobachtung“ im Krankenhaus behalten, aber Petra lehnte ab.

„Auf eigene Gefahr“ droff Petra nao Huus. Se satt in iähren Nachtpolter, mit eene Diëcke todecket, up ‘n Bifahrersitz un rittkebiëbede immer noch mit de Tiähne. Buten würd et langsam hell, un se huschkede in iähren Nachtpolter in ‘t Huus.

„Auf eigene Gefahr“ durfte Petra nach Hause. Sie saß in ihrem Nachthemd, mit einer Decke zugedeckt, auf dem Beifahrersitz und klapperte immer noch mit den Zähnen. Draußen wurde es langsam hell, und sie huschte in ihrem Nachthemd ins Haus.

De Junges keeken verschlaopen ut de Kissen. Kurt gönk faorts in ‘e Küeke, üm för Petra eene heete Tütensuppe te kuoken, dao stönn Malte up maol ächter emm. De lagg doch jüst noch in ‘n Bedde? wünnerde sick Kurt, wao kümmp de so gawwe wegg?

Die Jungs guckten verschlafen aus den Kissen. Kurt ging sofort in die Küche, um für petra eine heiße Tütensuppe zu kochen, da stand Malte auf mal hinter ihm. Der lag doch gerade noch im Bett? Wunderte sich Kurt, wo kommt der so schnell her?

„Wir sind fertig“, siä Malte mit ungedulliger un unpassend deiper Stimme. Feddig? Waomit feddig?

„Wir sind fertig“, sagte Malte mit ungeduldiger und unpassend tiefer Stimme. Fertig? Womit fertig?

„Hallo?! Wir sind fertig!“, Malte leggde emm de Hand up de Schuller un ruckelde wat. He stönd nu vör emm, breetschullerig, grautwassen un mit deiper Stimme.

„Hallo?! Wir sind fertig!“, Malte legte ihm die Hand auf die Schulter und ruckelte etwas. Er stand jetzt vor ihm, breitschultrig, großgewachsen und mit tiefer Stimme.

„Hallo? Wir sind fertig, wir wollen jetzt los!“, siä he naodrücklick, un Kurt wünnerde sick immer noch üöwer Maltes ruue un deipe Stimme.

„Hallo? Wir sind fertig, wir wollen jetzt los!“, sagte er nachdrücklich, und Kurt wunderte sich immer noch über Maltes raue und tiefe Stimme.

Auk Georg tratt nu neiger, auk in sienen Schlaopanzugg. „Der pennt“, siä he affällig, auk he mit unpössig deiper Stimme.

Auch Georg trat jetzt näher, auch in seinem Schlafanzug. „Der pennt“, sagte er abfällig, auch er mit unpassend tiefer Stimme.

Un nu schröck Kurt tesammen.

Und jetzt schreckte Kurt zusammen.

Vör emm stönnen de veer Möbelkiärls un gneeseden emm fröndlick an. Eener hadde siene Hand up Kurts Schuller liggen un ruckelde sachte. An ‘e Straote stönn de graude Möbelwagen, de grauden Düörn wäörn to, un dat graude Bedde, dat wäör auk wegg.

Vor ihm standen die vier Möbelkerle und grinsten ihn freundlich an. Einer hatte seine Hand auf Kurts Schulter liegen und ruckelte sanft. An der Straße stand der große Möbelwagen, die großen Türen waren zu, und das große Bett, das war auch weg.

„Das Haus ist leer. Wir fahren dann jetzt.“ Se tippeden sick an iähre Müssen un föherden löss. Kurt hadde nich äs Tiet hatt, sick bie iähr te bedanken. Langsam, ganz langsam kammp he wier to Verstand.

„Das Haus ist leer. Wir fahren dann jetzt.“ Sie tippten sich an ihre Mützen und fuhren los. Kurt hatte nicht einmal Zeit gehabt, sich bei ihnen zu bedanken. Langsam, ganz langsam kam er wieder zu Verstand.

W a t   is dat Huus? Lüerig? Lüerig? Wat wiët‘ de dann all vön sien Huus af! Sien Huus is vull, rappelvull, vull bis unner ‘t Dack! Vull mit Liäbensgeschichten! Vull mit Erinnerungen! Vull mit Geföhle! Wu viële Fieërn mit de Kinner, wu viële schöne Aomde mit de Naobers, wu viële stille Aomde vör dat Härdfüer mit ‘n guet Book in ‘e Hande! Wu viël Olldaggsliäben, wu viël Olldaggsglück!

W a s   ist das Haus? Leer? Leer? Was wissen die denn schon von seinem Haus! Sein Haus ist voll, rappelvoll, voll bis unters Dach! Voll mit Lebensgeschichten! Voll mit Erinnerungen! Voll mit Gefühlen! Wie viele Feiern mit den Kindern, wie viele schöne Abende mit den Nachbarn, wie viele stille Abende vor dem Herdfeuer mit einem guten Buch in den Händen! Wie viel Alltagsleben, wie viel Alltagsglück!

Kurt miärkede up maol, wu duüörfruorn he up siene Bank satt, aower upstaohn woll he noch nich. He satt dat lesste Maol up siene guede, olle Bank. Dat lesste Maol. Eenen Moment noch, eenen lessten Moment noch, eenen allerlessten Moment.

Kurt merkte auf einmal, wie durchgefroren er auf seiner Bank saß, aber aufstehen wollte er noch nicht. Er saß das letzte Mal auf seiner guten, alten Bank. Das letzte Mal. Einen Moment noch, einen letzten Moment noch, einen allerletzten Moment.

Vettig Kilometer vör emm wochtede Petra. Dicht bie iähr wuehnde Malte mit siene Kinner. Un auk Georg wuehnde ganz in ‘e Naichte. All dat, waodrupp et lesstlick würklick ankammp: siene Frau, siene Kinner, siene Enkelkinner – siene ganze Famillge.

Vierzig Kilometer vor ihm wartete Petra. Nahe bei ihr wohnte Malte mit seinen Kindern. Und auch Georg wohnte ganz in der Nähe. All das, worauf es letztlich wirklich ankam: seine Frau, seine Kinder, seine Enkelkinder – seine ganze Familie.

„Dat magg alle wull sien, dat se fröher säggt häbbt, dat man olle Baime nich verpuoten sall,“ dachde Kurt, „aower fröher is viël säggt wurden. Un eenes is sicher: Petra un ick, wi sind kinne Baime. Wi sind taoh. Wi sind stäödig. Wi häbbt uese Liäben düörliäft un düörliëten. Wi sind düör ‘n Schlüörsack trocken wurden. Wi sind Liäbenssoldaoten, twee oltgedennte Soldaoten. Un Soldaoten, Soldaoten kann man verpuoten.“

„Das mag alle wohl sein, dass sie früher gesagt haben, dass man alte Bäume nicht verpflanzen soll,“ dachte Kurt, „aber früher ist viel gesagt worden. Und eines ist sicher: Petra und ich, wir sind keine Bäume. Wir sind zäh. Wir sind unbeugsam. Wir haben unser Leben durchlebt und durchlitten. Wir mussten die Tiefen des Lebens kennenlernen. Wir sind Lebenssoldaten, zwei altgediente Soldaten. Und Soldaten, Soldaten kann man umpflanzen.“

Ganz sachte probeerde Kurt, denn Fot antelichten. Et gönk – well hadde dat dacht! – ganz licht. Dao wäörn kinne Wuordeln, well in denn Grund inwuordelt wäörn. Kinne Wuordeln, well he afreiten moss, kinn anwassenen Grund, vön denn he sick lössreiten moss. Et gönk ganz licht.

Ganz vorsichtig versuchte Kurt, den Fuß anzuheben. Es ging – wer hätte das gedacht! – ganz leicht. Da waren keine Wurzeln, die in den Grund eingewurzelt waren. Keine Wurzeln, die er abreißen musste, kein angewachsener Grund, von dem er sich losreißen musste. Es ging ganz leicht.

To ‘t lesste Maol stönn he up vön de Bank. Een lessten Gang düör dat lüerigstaohnde Huus. Dat Echo, de dauden Rüeke un dat Feihlen vön allem, wat emm vertruut wäör, möken et halfweggs licht. He tröck de olle Huusdüör to un schlüöt af, ganz sachte, he ganz halleen.

Zum letzten Mal stand er auf von der Bank. Ein letzter Gang durch das leerstehende Haus. Das Echo, die toten Gerüche und das Fehlen von allem, was ihm vertraut war, machten es halbwegs leicht. Er zog die alte Haustür zu und schloss ab, ganz vorsichtig, er ganz allein.

To ‘t lesste Maol gönk he üöwer denn Gaordenpatt, vön emm söffs leggt, Steen för Steen, vör ewige Tieten.

Zum letzten Mal ging er über den Gartenweg, von ihm selbst gelegt, Stein für Stein, vor ewigen Zeiten.

„Wi kiekt nich trügge“, hadde Petra säggt, „wi kiekt nao vüörne. De Mussik spiëllt vüörne.“ He steeg in ‘t Auto un töwede. Vettig Kilometer vör emm lagg dat nieë kleine Hüsken. Dat hadde he nich söwwes baut. Dat wäör bloß eenfach so kofft, jüstso äs ‘ne nieë Unnerplinte.

„Wir gucken nicht zurück“, hatte Petra gesagt, „wir gucken nach vorn. Die Musik spielt vorn.“ Er stieg ins Auto und zögerte. Vierzig Kilometer vor ihm lag das neue kleine Häuschen. Das hatte er nicht selbst gebaut. Das war bloß einfach so gekauft, genauso wie eine neue Unterhose.

Dat nieë Hüsken pöss to iähr. Mit ‘n ganz klein Gäördken. „Pflegeleicht“ – dat Waort hadden se vön denn Makler wull ‘n dutzend Maol häört. Dat nieë Hüsken wäör „seniorengerecht“ – auk so ‘n Lieblingswaort vön denn Makler. Häörde sick in Kurts Aohrn baole so an äs „behindertengerecht“. Aower et hadde wat: kinne Treppen, breede Düörn, Fotbuodenheizung.

Das neue Häuschen passte zu ihnen. Mit einem ganz kleinen Gärtchen. „Pflegeleicht“ – das Wort hatten sie von dem Makler wohl ein dutzend Mal gehört. Das neue Häuschen war „seniorengerecht“ – auch so ein Lieblingswort des Maklers. Hörte sich in Kurts Ohren fast so an wie „behindertengerecht“.  Aber es hatte was: keine Treppen, breite Türen, Fußbodenheizung.

De nieë Huusdüör möken beide tesammen löss, ganz sachte, Hand in Hand, Kurt un siene Petra.

Die neue Haustür machten beide zusammen auf, ganz sachte, Hand in Hand, Kurt und seine Petra.

Twee olle Liäbenssoldaoten.

Zwei alte Lebenssoldaten.

[Eine verkürzte Version dieser Kurznovelle wurde im „Jahrbuch für den Kreis Steinfurt 2021“ veröffentlicht.]

Der Kern der Novelle – die Entdeckung der lebensbedrohlich unterzuckerten Mama durch ihren 5-jährigen Sohn, der in einem Alptraum seine Mutter tot in ihrem Bett gesehen hatte und sofort zu ihr hingelaufen war – beruht auf einer wahren Begebenheit in meiner Familie.