Literarische Texte – ProsaSpiëlerieen

Spiëlerieen   (vön Rudolf Averbeck – Kurznovelle]

Spielereien  (von Rudolf Averbeck – Kurznovelle)

Fahlbosch satt an denn enzigen Dischk, vön denn ut he eenen vullstännigen Üöwerblick üöwer denn ganzen Beergaorden hadde. Üöwerblick hedde Kontrolle. Kontrolle hedde Üöwerliägenheit. Üöwerliägenheit hedde Sicherheit.

Fahlbosch saß an dem einzigen Tisch, von dem aus er einen vollständigen Überblick über den ganzen Biergarten hatte. Überblick hieß Kontrolle. Kontrolle hieß Überlegenheit. Überlegenheit hieß Sicherheit.

He wäör eene halwe Stunne te fröh dao. Üm sick vertruut te maken. Vertruut mit denn Beergaorden. Vertruut mit de Lüe. Vertruutheit hedde Kontrolle. Kontrolle hedde Üöwerliägenheit. Üöwerliägenheit hedde Sicherheit.

Er war eine halbe Stunde zu früh da. Um sich vertraut zu machen. Vertraut mit dem Biergarten. Vertraut mit den Leuten. Vertrautheit hieß Kontrolle. Kontrolle hieß Überlegenheit. Überlegenheit hieß Sicherheit.

För dat Zielobjekt wäör alles früemd. Dat hedde Unnerliägenheit. Iähre Unnerliägenheit wäör siene Üöwerliägenheit.

Für das Zielobjekt war alles fremd. Das hieß Unterlegenheit. Ihre Unterlegenheit war seine Überlegenheit.

Alles wäör bestens vörbereitet. De Knickfollen in dat Dischkdook? Glattstriëken. De Blomenvase? Akkuraot in ‘e Dischkmitte. Sien Bäörtken? Genau schniëden. Millimetergenau. Alles wäör een paarmaol naokiëken. Alles wäör een paarmaol naobiätert. He aomde deip düör. De ganze Tiet hadde he stockstief siäten. Nu entspannde he sick.

Alles war bestens vorbereitet. Die Knickfalten in dem Tischtuch? Glattgestrichen. Die Blumenvase? Akurat in der Tischmitte. Sein Bärtchen? Genau geschnitten. Millimetergenau. Alles war ein paarmal nachgesehen. Alles war ein paarmal nachgebessert. Er atmete tief durch. Die ganze Zeit hatte er stocksteif gesessen. Nun entspannte er sich.

He satt ganz alleene in denn Beergaorden. Ganz alleen, mit siene raude Krawatte. Ferrari-raut. De Sunne wiärmde angeniëhm. Dat Spiël konn lössgaohn. Dat Zielobjekt konn kuemmen. He stönn praot. He wäör vörbereitet. Bestens vörbereitet.

Er saß ganz allein im Biergarten. Ganz allein, mit seiner roten Krawatte. Ferrari-rot. Die Sonne wärmte angenehm. Das Spiel konnte beginnen. Das Zielobjekt konnte kommen. Er war bereit. Er war vorbereitet. Bestens vorbereitet.

De Kiärktaornt schlög ganz in ’e Naichte. Drei Maol, in de Stille. Viddel vör sess. Noch füffteihn Minuten. He tuckede tesammen. Tassede hästerig sien Jackett af. Pottmanee? Wäör dao. Taschkendook? Wäör dao. De Breefümschlagg mit siene Kleinanzeige? Wäör dao. Alles wäör dao. Dao, wao et henhäörde.

Der Kirchturm schlug ganz in der Nähe. Drei Mal, in die Stille. Viertel vor sechs. Noch fünfzehn Minuten. Er zuckte zusammen. Tastete hastig sein Jackett ab. Portemonnaie? War da. Taschentuch? War da. Der Briefumschlag mit seiner Kleinanzeige? War da. Alles war da. Da, wo es hingehörte.

“Tatkräftiger Akademiker, 38, Golfer, Klavierspieler, Typ “Magnum”, sucht für gemeinsame Zukunft ebenso gutsituierte …“.

Tatkräftiger Akademiker, 38, Golfer, Klavierspieler, Typ „Magnum“, sucht für gemeinsame Zukunft ebenso gutsituierte …“.

Düsse Anzeige hadde sick bewährt. Se wäör utfielt. Utfielt bis in`t lesste Fitzelken. Jedet enzelne Waort hadde he sick ganz genau utfigguleert. Wiäkenlang. Se wäör sien Mesterstück. Exakt toschniëden. Toschniëden up siene Zielobjekte. Düsse Anzeige hadde sick bewährt. Se sprüök immer auk de richtigen Zielobjekte an. Auk düt Zielobjekt. Wat in teihn Minuten kuemmen woll. Mit giäle Taschke. Düsse Anzeige hadde sick bewährt.

Diese Anzeige hatte sich bewährt. Sie war ausgefeilt. Ausgefeilt bis in die letzte Feinheit. Jedes einzelne Wort hatte er sich ganz genau ausgetüftelt. Wochenlang. Sie war sein Meisterstück. Exakt zugeschnitten. Zugeschnitten auf seine Zielobjekte. Diese Anzeige hatte sich bewährt. Sie sprach immer auch die richtigen Zielobjekte an. Auch dieses Zielobjekt. Was in zehn Minuten kommen wollte. Mit gelber Tasche. Diese Anzeige hatte sich bewährt.

Kinn Tofall, bi Naoheit nich. Giäle Taschke – lächerlick! Magnum streek sick denn Baort. He gönk noch maol de „giäle Taschke“ düör. Punkt för Punkt.

Kein Zufall, mit Sicherheit nicht. Gelbe Tasche – lächerlich! Magnum strich sich den Bart. Er ging noch einmal die „gelbe Tasche“ durch. Punkt für Punkt.

Een Mann, twee Jungs. Alle drei vermallört. De Firma för guet Geld verkofft. Drei graude Liäbensversicherungen.

Ein Mann, zwei Jungs. Alle drei verunglückt. Die Firma für gutes Geld verkauft. Drei große Lebensversicherungen.

Viëlverspriäkend. Ännersüm: so viël Geld mäck Zielobjekte mißtruuischk. Mißtruuen mäck Angst. Angst mäck vüörsichtig. Üöwervüörsichtig. Vüörsicht hedde grötteret Risiko. Un scheefgaohn, scheefgaohn droff dütmaol garnicks. Up gar kinnen Fall. Dat naichste Maol gaff et kinne Bewährung men. Hadde emm de Richter säggt. Bi ‘t lesste Maol. So naodrücklick, dat emm ganz kodderig wurden wäör.

Vielversprechend. Andersherum: so viel Geld macht Zielobjekte misstrauisch. Misstrauen macht Angst. Angst macht vorsichtig. Übervorsichtig. Vorsicht hieß größeres Risiko. Und schiefgehen, schiefgehen darf dieses Mal gar nichts. Auf gar keinen Fall. Das nächste Mal gab es keine Bewährung mehr. Hatte ihm der Richter gesagt. Beim letzten Mal. So nachdrücklich, dass ihm ganz schwummerig geworden war.

Een Kerl kammp in denn Beergaorden un sett’e sick direkt an ’e Straote. Diärtig, fiewendiärtig. Dunkle Haore. Akkuraot schniëden. Konn wull een Friseur sien. Knapp sittende Jeansbuckse. Eene updringlicke Duftwolke. De Kerl wäör parfümeert. Düördriëbener, ächterkäppsker Utkiek. Eener vön de ganz Klooken. Magnum schudd‘e sick. Parfümeert! Wiërlick!

Ein Kerl kam in den Biergarten und setzte sich direkt an die Straße. Dreißg, fünfunddreißig. Dunkle Haare. Akkurat geschnitten. Könnte wohl ein Friseur sein. Knapp sitzende Jeanshose. Eine aufdringliche Duftwolke. Der Kerl war parfümiert. Durchtriebenes, hinterhältiges Aussehen. Einer von den ganz Schlauen. Magnum schüttelte sich. Parfümiert! Widerlich!

Dann kammp de naichste Kerl. Grautwassen, mit stakerigen Gang. So üm de sesstig, fiewensesstig Jaohre. Sett’e sick auk an ’e Straote. So wiet äs müeglick wegg vön denn Friseur. Denn Spazeerstock stellde he kiëgen sick. Anseihnlicke, witte Haore. Oltmodschke Brille. Dicke Gliäser. De Kerl säög ut äs Erich Honnecker. Hölterig, olt. Konn wull een pensioneerten Lährer sien.

Dann kam der nächste Kerl. Großgewachsen, mit staksigem Gang. So um die sechzig, fünfundsechzig Jahre. Setzte sich auch an die Straße. So weit wie möglich weg von dem Friseur. Den Spazierstock stellte er neben sich. Ansehnliche, weiße Haare. Altmodische Brille. Dicke Gläser. Der Kerl sah aus wie Erich Honnecker. Hölzern, alt. Könnte wohl ein pensionierter Lehrer sein.

De Friseur un de Lährer kreegen Beer bracht. Vör Magnum stönn een Glass Bitter Lemon. Up eenen Beerdeckel. He dreihde dat Glass. Mit de rechte Hand. Immer rechtsrüm. Aower in Würklickkeit luerde he, wat de beiden möken.

Dem Friseur und dem Lehrer wurde Bier gebracht. Vor Magnum stand ein Glas Bitter Lemon. Auf einem Bierdeckel. Er drehte das Glas. Mit der rechten Hand. Immer rechts herum. Aber in Wirklichkeit lauerte er, was die beiden machten.

Een Moped hüülde up de Kiëgensiete vön de Straote. Een üm ‘t ännere maol. Een paar junge Kerls stönnen üm dat Moped drümto. Konnen wull Lährjunges sien. Dann hüülde dat Moped de Straote up un daale. Een üm ‘t ännere maol.

Ein Moped heulte auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein ums andere Mal. Ein paar junge Kerle standen um dem Moped herum. Könnten wohl Lehrjungen sein. Dann heulte das Moped die Straße rauf und runter. Ein ums andere Mal.

Dat Mallör wäör vör twee Jaohren passeert. Alle drei daut. De Liäbensversicherungen mit Sicherheit längst utbetahlt. Wier un wier keek he up siene Rolex-Uhr. Natürlick kinne echte.

Der Unfall war vor zwei Jahren passiert. Alle drei tot. Die Lebensversicherungen mit Sicherheit längst ausbezahlt. Wieder und wieder schaute er auf seine Rolex-Uhr. Natürlich keine echte.

Dann gönk sien Handy. De giäle Taschke. Entschuldigde sick viëlmaols, aower et wäör iähr wat detüschken kuemmen, wat se in Vöruut nich wiëten konn un wao se bi ’n besten Willen nich ruutkruupen konn, un et dää iähr leed, aower et würd waohrschienlick noch ’n Tietken duern, aower se kammp up jeden Fall.

Dann ging sein Handy. Die gelbe Tasche. Entschuldigte sich vielmals, aber es wäre ihr etwas dazwischen gekommen, was sie im Voraus nicht wissen konnte und wo sie beim besten Willen nicht rauskriechen konnte, und es täte ihr leid, aber es würde wohl noch ein Weilchen dauern, aber sie käme auf jeden Fall.

Sowat hassde he. Wenn wat änners löp. Änners äs plant. He trummelde leise mit de Fingers. Up de glattstriëkene Dischkdiëke. Aomde ganz langsam in. Ganz deip. Höllde de Luft an. Schlüöt ganz langsam de Augen. För eenen langen, langen Moment. Dann aomde he lautlöss wier ut. So langsam äs müeglick. Dann mök he de Augen ganz langsam wier löss. Et wäör, äs wenn nicks passeert wäör.

Sowas hasste er. Wenn etwas anders lief. Anders als geplant. Er trommelte leise mit den Fingern. Auf der glattgestrichenen Tischdecke. Atmete langsam ein. Ganz tief. Hielt die Luft an. Schloss ganz langsam die Augen. Für einen langen, langen Moment. Dann atmete er lautlos wieder aus. So langsam wie möglich. Dann machte er die Augen ganz langsam wieder los. Es war, als wenn nichts geschehen wäre.

Up de änneren Straotensiete wäör up maol Ruhe. Man wäör an ‘t verhanneln. Mit aller Taohigkeit. Guet so. ‘n Endken hanneln is biäter äs ’ne Iälle arbeiden. Man würd sick wenne eenig. Papiere würden uthändigt. Geld würd vörtällt. So dütlick, dat man vön ‘n Beergaorden ut mittällen konn:  600 €. De Verkaiper, ‘n breetschullerigen Kerl mit hellblonde Haore, stoppde dat Geld in un wischkede sick denn Schweet vön ‘n Kopp. De Kaiper hüülde af mit dat Moped. Endlick wier Stille.

Auf der anderen Straßenseite war auf einmal Ruhe. Man war am verhandeln. Mit aller Zähigkeit. Gut so. Ein Stückchen handeln ist besser als eine Elle arbeiten. Man wurde sich bald einig. Papiere wurden ausgehändigt. Geld wurde vorgezählt. So deutlich, dass man vom Biergarten aus mitzählen konnte: 600 €. Der Verkäufer, ein breitschultriger Kerl mit hellblonden Haaren, steckte das Geld ein und wischte sich den Schweiß vom Kopf. Der Käufer heulte mit dem Moped ab. Endlich wieder Stille.

Äs de Breetschullerige in denn Beergaorden rinköm, dao dreiheden emm alle drei Kerls denn Kopp to. He keek sick flüchtig üm. För eenen kuorten Moment bleef sien Blick an denn Lährer hangen. De beiden nickeden sick knapp to. De Breetschullerige sett’e sick an eenen frieën Dischk. Wiet af vön alle ännern. Een Germane äs ut ’n Belderbok. Hellblonde, lange Haore. Dicke Oberarms. Richtig wat in ‘n Ärmel. Un Hande äs Schrappwännkes. Een Staotskerl. He satt noch nich richtig, dao stönn de Friseur all kiëgen emm un küerde emm an. Sien Beer hadde he füsste all mitbracht, un dann satten de beiden dao un küerden, üöwer Mopedpriese. De Kellner brachde Beer un eenen Knobelbecher.

Als der Breitschultrige in den Biergarten reinkam, da drehten ihm alle drei Kerle den Kopf zu. Er sah sich flüchtig um. Für einen kurzen Moment blieb sein Blick am Lehrer hängen. Die beiden nickten sich knapp zu. Der Breitschultrige setzte sich an einen freien Tisch. Weit weg von allen anderen. Ein Germane wie aus dem Bilderbuch. Hellblonde, lange Haare. Dicke Oberarme. Richtig was im Ärmel. Und Riesenhände. Ein Staatskerl. Er saß noch nicht richtig, da stand der Friseur schon neben ihm und sprach ihn an. Sein Bier hatte er bereits mitgebracht, und dann saßen die beiden da und redeten, über Mopedpreise. Der Kellner brachte Bier und einen Knobelbecher.

De Lährer hadde all verscheiden Maol nao de beiden rüöwerkiëken. De Friseur mit sienen üöwerschlauen Utkiek geföll emm nich. Aower nu würd he upmiärksam  –  een Knobelbecher un kinne Würfel?! De Friseur schmeerde, so äs dat utsäög, denn Germanen derbe Schmannt üm ‘t Muul. De beiden würfelden, un et gönk üm Geld. De Lährer dreihde sick wegg, emm schmöck dat ganz un gar nich. Af un an keek he prüttschk rüöwer un schüddelkoppde licht vör sick hen. De Germane wünn un wünn un wäör helle best tefriäde. De Friseur auk. So tefriäde äs man is, wenn man mit ’ne Mettwuorst nao ’ne Specksiete schmitt.

Der Lehrer hatte schon einige Male zu den beiden rübergesehen. Der Friseur mit seinem überschlauen Aussehen gefiel ihm nicht. Aber nun wurde er aufmerksam  –  ein Knobelbecher und keine Würfel? Der Friseur schmierte, so wie es aussah, dem Germanen ordentlich Honig ums Maul. Die beiden würfelten, und es ging um Geld. Der Lehrer drehte sich weg, ihm schmeckte das ganz und gar nicht. Ab und zu schaute er missgelaunt herüber und schüttelte mit dem Kopf leicht vor sich hin. Der Germane gewann und gewann und war bestens zufrieden. Der Friseur auch. So zufrieden wie man ist, wenn man mit einer Mettwurst nach einer Speckseite wirft.

„De lött sick ja licht anfleiten.“ Magnum studeerde de beiden intresseert. „Kann m‘ doch düör de Holschken föhlen, wat dao löpp.”

„Der lässt sich ja leicht einwickeln.“ Magnum studierte die beiden interessiert. „Kann man doch durch die Holzschuhe fühlen, was da läuft.

De beiden spiëlden wenne üm gröttere Bedriäge, un dat Spiël dreihde sick. Nu wünn de Friseur. He wünn un wünn.

Die beiden spielten bald um größere Beträge, und das Spiel drehte sich. Nun gewann der Friseur. Er gewann und gewann.

De Lährer hadde de ganze Tiet vön wieten tokiëken un sick trüggehaolen, aower dann wäör he doch upstaohn. He stellde sick bi de beiden an ’n Dischk un bekeek sick dat Spiël ut de Naichte. He wochtede af. Säggen dää he nicks. Gar nich lange, un denn Germanen wäör dat Fell üöwer de Aohrn trocken. Un zwar vullstännig.

Der Lehrer hatte die ganze Zeit von weitem zugesehen und sich zurückgehalten, aber dann war er doch aufgestanden. Er stellte sich bei den beiden an den Tisch und besah sich das Spiel aus der Nähe. Er wartete ab. Sagen tat er nichts. Gar nicht lange, und dem Germanen war das Fell über die Ohren gezogen. Und zwar vollständig.

Magnum nammp eenen kleinen Schluck Bitter Lemon. Lehnde sick trügge. So is dat Liäben. Dummheit wätt bestraoft. Un, Gottseidank!, de Dummen stiärft nich ut.

Magnum nahm einen kleinen Schluck Bitter Lemon. Lehnte sich zurück. So ist das Leben. Dummheit wird bestraft. Und, Gott-sei-dank!, die Dummen sterben nicht aus.

De Germane stönn ganz langsam up, stütt’e sick up beide Füüste up ’n Dischk af, keek denn Friseur vön buom daale an un siä mit Naodruck: “Dat is Bedrugg. Ick will mien Geld trügge häbben.”

Der Germane stand langsam auf, stützte sich auf beiden Fäusten auf dem Tisch ab, schaute den Friseur von oben herab an und sagte mit Nachdruck: „Das ist Betrug. Ich will mein Geld zurück haben.“

De Lährer packede sick – schrumm! – so plötzlick de Würfel, dat alle ännern to emm henkeeken. He wüög de Würfel bedächtig in ’e Hande un löt se sachte vön eene Hand in ’e ännere gliehen. “Bedrugg  –  dat   is   een   gaaanz,   gaaanz   schäbbiget   Waort!”, siä de Friseur ganz langsam to denn Germanen. “Well nich verleisen kann, de soll nich spiëlen.”

Der Lehrer griff sich – zack! – so plötzlich die Würfel, dass alle anderen zu ihm hinguckten. Er wog die Würfel bedächtig in den Händen und ließ sie sachte von einer Hand in die andere gleiten. „Betrug  –  das  ist  ein  gaaanz,  gaaanz   schäbiges   Wort!“, sagte der Friseur ganz langsam zum Germanen. „Wer nicht verlieren kann, der sollte nicht spielen.“

De Lährer löt de Würfel, eenen nao denn ännern, sachte üöwer denn Dischk rullen. Daobi löt he se nich ut ’e Augen. De Friseur auk nich. “Schöne Würfel”, siä de Lährer to denn Friseur, “würklick intressante Würfel.“ He höllde sick eenen ganz dicht vör de Augen, dann keek he, mit tesammenkniëpene Augen, wiet wegg nao buten, up de Kiärktaorntuhr. „Italien?” “Waohiär sall ick dat wiëten!” De Friseur nammp iärgerlick eenen grauden Schluck. „Un wunnen is wunnen! Spiël is Spiël!“

Der Lehrer ließ die Würfel, einen nach dem anderen, sachte über den Tisch rollen. Dabei ließ er sie nicht aus den Augen. Der Friseur auch nicht. „Schöne Würfel“, sagte der Lehrer zum Friseur, „wirklich interessante Würfel.“ Er hielt sich einen ganz dicht vor die Augen, dann guckte er, mit zusammengekniffenen Augen, weit weg nach draußen, auf die Kirchturmuhr. „Italien?“ „Woher soll ich das wissen!“ Der Friseur nahm ärgerlich einen großen Schluck. „Und gewonnen ist gewonnen! Spiel ist Spiel!“

De Germane wäör upstaohn un gönk bisiete, sien Handy an ’t Aohr.

Der Germane war aufgestanden und ging zur Seite, sein Handy am Ohr.

“Spiëlt Gi auk mit mi?” froggde de Lährer.

„Spielen Sie auch mit mir?“ fragte der Lehrer.

De Friseur keek verwünnert hauch. He töwede. De Lährer geföll emm nich, aower aflehnen konn he nich so eenfack. De Lährer hadde immer noch siene Würfel. Half nieschierig, half wiërwillig nickkoppde he. “Män to.” De Lährer sett’e sick schwaorfällig kiëgenüöwer vön denn Friseur an ’n Dischk.

Der Friseur sah verwundert hoch. Er zögerte. Der Lehrer gefiel ihm nicht, aber ablehnen konnte er nicht so einfach. Der Lehrer hatte immer noch seine Würfel. Halb neugierig, halb widerwillig nickte er. „Nur zu.“ Der Lehrer setzte sich schwerfällig gegenüber vom Friseur an den Tisch.

“Gi häbbt schöne Würfel. Ick häff auk schöne Würfel.” siä de Lährer, ziemlick laut un mit miärkwürdige Betonung up jedet enzelne Waort. Et schlög half siëm. De giäle Taschke kammp nich. Se kammp un kammp nich. De Lährer leggde drei Würfel up ’n Dischk.

„Sie haben schöne Würfel. Ich habe auch schöne Würfel.“ sagte der Lehrer, ziemlich laut und mit merkwürdiger Betonung auf jedem einzelnen Wort. Es schlug halb sieben. Die gelbe Tasche kam nicht. Sie kam und kam nicht. Der Lehrer legte drei Würfel auf den Tisch.

„Wi spiëlt mit drei Würfel. Mit   m i e n e   drei Würfel.“

„Wir spielen mit drei Würfeln. Mit   m e i n e n   drei Würfeln.“

De Germane kammp trügge un stellde sick an ’n Dischk. Denn Lährer keek he nich an. Magnum würd unruhig. Dat „m i e n e“ hadde sick änners anhäört. Ganz änners. Reddeweggten bedrohlick. “Een ganz eenfacket Spiël: drei Würfel, ick sök mi eenen vön de drei ut un schmiet, dann sökt Gi Ju eenen vön de beiden ännern ut un schmiet’ auk. De höchste Tahl winnt. Bi glieke Augentahl wätt noch maol schmiëten.”

Der Germane kam zurück und stellte sich an den Tisch. Den Lehrer sah er nicht an. Magnum wurde unruhig. Das  „m e i n e“  hatte sich anders angehört. Ganz anders. Geradewegs bedrohlich. „Ein ganz einfaches Spiel: drei Würfel, ich suche mir einen von den dreien aus und würfle, dann suchen Sie sich einen von den beiden anderen aus und würfeln auch. Die höchste Zahl gewinnt. Bei gleicher Augenzal wird noch einmal gewürfelt.

“Mit düsse Würfel hier? Wat sind dat üöwerhaupt för Würfel?” De Friseur dreihede de drei Würfel in ’e Hande un lessde vör, laut un triumpfeernd:

„6-6-6-1-1-1,    6-6-4-3-1-1,   4-4-4-3-3-3!   Drei Sessen – de Buck stinket doch teihn Kilometer kiëgen denn Wind! Dat is doch Bedrugg!“

„Mit diesen Würfeln hier? Was sind das überhaupt für Würfel?“ Der Friseur drehte die drei Würfel in den Händen und las vor, laut und triumpfierend: „6-6-6-1-1-1,    6-6-4-3-1-1,   4-4-4-3-3-3!   Drei Sechsen – das stinkt doch 10 Kilometer gegen den Wind! Das ist doch Betrug!“

“Dat is doch Bedrugg!” flüög et denn Friseur noch maol ruut, un he keek denn Lährer füörschkend in de Augen. “Bedrugg  –  dat   is   een   gaaaaaaanz, gaaaaaaanz   schäbbiget   Waort”, apede de Lährer denn Friseur üöwerdriëben gedehnt nao. De Friseur löt sick nicks anmiärken, aower he würd dull.

„Das ist doch Betrug!“ flog es dem Friseur noch einmal heraus, und er sah dem Lehrer forschend in die Augen. „Betrug  –  das   ist   ein   gaaaaaaanz, gaaaaaaanz   schäbiges Wort“, äffte der Lehrer den Friseur übertrieben gedehnt nach. Der Friseur ließ sich nichts anmerken, aber er wurde wütend.

Düsse Kontrolle! Waohiär nammp de Lährer bloß düsse Kontrolle? De Üöwerliägenheit? De Sicherheit?

Diese Kontrolle! Woher nahm der Lehrer bloß diese Kontrolle? Die Überlegenheit? Die Sicherheit?

De Luft würd stickig. Magnum aomde schneller, deiper. Un daokiëgen konn he nicks doon. Gar nicks. He stönn up un stoppde gawwe siene Hande in ’e Taschke. Schienbaor gelangwielt, schluttkede he nao de änneren rüöwer. Nao denn Dischk, wao sick dat Spiël afspiëlde.

Die Luft wurde stickig. Magnum atmete schneller, tiefer. Und dagegen konnte er nichts machen. Gar nichts. Er stand auf und stopfte schnell seine Hände in die Tasche. Scheinbar gelangweilt, schlurfte er zu den anderen rüber. Zu dem Tisch, wo sich das Spiel abspielte.

Nicheener achtede up emm.

Keiner achtete auf ihn.

De Lährer verdreihde kuort de Augen in ‘n Kopp, dann siä he ganz langsam un üöwerdütlick, so äs wenn he eenen Unwiesen wat bibrengen woll: “Ick giëf ja to, dat miene Würfel wat änners sind äs ännere Würfel. Aower Bedrugg, Bedrugg is dat noch lange nich! Miene Würfel sind nich vön een bis sess düörnummereert, aower se häbbt, jüst so äs alle ännern Würfel auk, 21 Augen. Un daodrupp kümmp et an.“ He mök ’ne kleine Pause, üm dat Gesäggte bi de Tohäörer sacken te laoten. Alle hadden gawwe naoriäket. 1-2-3-4-5-6  – tatsächlick 21 Augen. Auk bi de drei Würfel vön denn Lährer: immer 21 Augen. Betont leise küerde he wieder un dwüng up de Wiese alle, ganz genau totehäörn: „Un daomit is jeden enzelnen Würfel jüst so guet äs jeden ännern Würfel auk. Un zinkt“ daobi schüöt he eenen messerscharpen Blick up denn Friseur, „zinkt sind miene Würfel nich! Jede Siete vön jeden Würfel kümmp mit glieker Waohrschienlickkeit.”

Der Lehrer verdrehte kurz die Augen im Kopf, dann sagte er ganz langsam und überdeutlich, so als wenn er einem Verrückten etwas beibringen wollte: „Ick gebe ja zu, dass meine Würfel etwas anders sind als andere Würfel. Aber Betrug, Betrug ist das noch lange nicht! Meine Würfel sind nicht von eins bis sechs durchnummeriert, aber sie haben, genau so wie alle anderen Würfel auch, 21 Augen. Und darauf kommt es an.“ Er machte eine kleine Pause, um das Gesagte bei den Zuhörern sacken zu lassen. Alle hatten schnell nachgerechnet. 1-2-3-4-5-6  –  tatsächlich 21 Augen. Auch bei den drei Würfeln vom Lehrer: immer 21 Augen. Betont leise sprach er weiter und zwang auf diese Weise alle, ganz genau zuzuhören: „Und damit ist jeder einzelne Würfel genau so gut wie jeder andere Würfel auch. Und gezinkt“ dabei schoss er einen messerscharfen Blick auf den Friseur, „gezinkt sind meine Würfel nicht! Jede Seite von jedem Würfel kommt mit gleicher Wahrscheinlichkeit.“

“Un wat sall dat nu mit düsse komischken Würfel?” De Friseur konn siene Wut baole nich unnerdrücken. He hadde nie wat vön so ’ne Würfel häört un wüss nich, wat he daovön haolen soll. “Spiël – so is dat Spiël. Nich alles, wat nao Bedrugg utsütt, is auk Bedrugg.“ De Lährer keek alle de Riege nao bedütungsvull an, „Un nich alles, wat nich nao Bedrugg utsütt, is auk kinn Bedrugg.”

„Und was soll das jetzt mit diesen komischen Würfeln?“ Der Friseur konnte seine Wut fast nicht unterdrücken. Er hatte nie etwas von solchen Würfeln gehört und wusste nicht, was er davon halten sollte. „Spiel – so ist das Spiel. Nicht alles, was nach Betrug aussieht, ist auch Betrug.“ Der Lehrer sah alle der Reihe nach bedeutungsvoll an, „Und nicht alles, was nicht nach Betrug aussieht, ist auch kein Betrug.“

De Friseur dreihede de Würfel in siene Hande, he wüög se, stellde se up alle Kanten un löt se ümfallen. „Ick sägge doch“, siä de Lährer naodrücklick, „de sind nich zinkt.“

Der Friseur drehte die Würfel in seinen Händen, er wog sie, stellte sie auf alle Kanten und ließ sie umfallen. „Ich sage doch“, sagte der Lehrer nachdrücklich, „die sind nicht gezinkt.“

De Friseur rüök füörmlick, dat ’e wat nich stimmde, aower he konn nich ruutfinnen, wat genau dat wäör. Wat üm alles in ’e Wiält hadde dat mit düsse Würfel up sick?

Der Friseur roch förmlich, dass da was nicht stimmte, aber er konnte nicht herausfinden, was genau das war. Was um alles in der Welt hatte es mit diesen Würfeln auf sich?

Magnum dwüng sick, ganz ruhig te blieben.

Magnum zwang sich, ganz ruhig zu bleiben.

“Un  G i e  küennt Ju immer teïärste denn besten Würfel utsöken?”  froggde de Friseur. “Dao ligg doch all de Bedrugg.” “Dao ligg kinn Bedrugg!” De Lährer küerde laut un indringlick, un wier betonde he jedet enzelne Waort. De Friseur dreihede denn Kopp un keek nao buten, up de Straote, ganz wiet wegg. He dachde nao, angestrengt. Un dann rischkede he sick resolveert up, lehnde sick wiet trügge un sett’e eenen noch düördriëbeneren Utkiek up äs süss.

„Und   S i e   können sich immer zuerst den besten Würfel aussuchen?“ fragte der Friseur. „Da liegt doch schon der Betrug.“ „Da liegt kein Betrug!“ Der Lehrer sprach laut und eindringlich, und wieder betonte er jedes einzelne Wort. Der Friseur dreht den Kopf und schaute nach draußen, auf die Straße, ganz weit weg. Er dachte nach, angestrengt. Und dann richtete er sich entschlossen auf, lehnte sich weit zurück und setzte einen noch durchtriebeneren Ausguck auf als sonst.

„Wi spiëlt dat Spiël – aower   i c k   sök denn Würfel teïärste ut, un   G i e   küennt Ju dann eenen vön de beiden ännern utsöken.“

„Wir spielen das Spiel – aber   i c h   such den Würfel zuerst aus, und   S i e   können sich dann einen von den beiden anderen aussuchen.“

Magnum aomde up. Guet so! Haol dienen End faste! Lao di nich üm ‘m Prumenbaum lehen!

Magnum atmete auf. Gut so! Halt dein Ende fest! Lass dich nicht über den Tisch ziehen!

De Friseur hadde daomit riäket, dat de Lährer sick nich up sienen Vörschlagg inlaoten würd. Aower dao hadde he sick verriäket. De Lährer siä ganz eenfack un biläufig: „Mienetwiägen.“, ohne dat he lange naodenken moss. „Aower wi spiëlt nich üm Peanuts – wi spiëlt jedesmaol üm 100 Euro.   G i e   sökt Ju denn iärsten Würfel ut,  i c k   sök mi eenen vön de beiden ännern ut, jeder vön us schmitt, un de höggere Tahl gewinnt 100 Euro.“

Der Friseur hatte damit gerechnet, dass der Lehrer sich nicht auf seinen Vorschlag einlassen würde. Aber da hatte er sich verrechnet. Der Lehrer sagte ganz einfach und beiläufig: „Meinetwegen.“, ohne dass er lange nachdenken musste. „Aber wir spielen nicht um Peanuts – wir spielen jedes Mal um 100 Euro.   S i e   suchen sich den ersten Würfel aus,   i c h   suche mir einen von den beiden anderen aus, jeder von uns würfelt, und die höhere Zahl gewinnt 100 Euro.“

De Friseur trummelde mit de Finger up denn Dischk. Dat gönk emm up maol te eenfack. Aower et wäör te late, he konn nich men trügge. De Lährer hadde immer noch siene Würfel. Un so nickede he, un wier flüög ganz kuort dat üöwerliägene Gneesen üöwer sien Gesicht. Denn spöttsken Utdruck up dat Gesicht vön denn Lährer säög de Friseur nich.

Der Friseur trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Das ging ihm auf einmal zu einfach. Aber es war zu spät, er konnte nicht mehr zurück. Der Lehrer hatte noch immer seine Würfel. Und so nickte er, und wieder flog ganz kurz das überlegene Grinsen über sein Gesicht. Den spöttischen Ausdruck im Gesicht des Lehrers sah der Friseur nicht.

Magnum auk nich. Auk de Germane wüss nich, wat he vön de Würfel haolen soll, aower dat kuorte affällige Gneesen, wat üöwer dat Gesicht vön denn Lährer flüög, dat säög he ganz genau. Un düt Gneesen kannde he vön fröher.

Magnum auch nicht. Auch der Germane wusste nicht, was er von den Würfeln halten sollte, aber das kurze abfällige Grinsen, das über das Gesicht des Lehrers flog, das sah er ganz genau. Und dieses Grinsen kannte er von früher.

Mitdes kammen veer junge Kerls rin un stellden sick, ohne een Waort te säggen, kiëgen denn Germanen. De Spiëldischk wäör nu ümringt vön Lüe.

In diesem Moment kamen vier junge Kerle rein und stellten sich, ohne ein Wort zu sagen, neben den Germanen. Der Spieltisch war jetzt umringt von Leuten.

De drei Würfel laggen up denn Dischk, direkt vör denn Friseur. Een Würfel mit drei Sessen, een Würfel mit twee Sessen un een Würfel mit drei Dreien.

Die drei Würfel lagen auf dem Tisch, direkt vor dem Friseur. Ein Würfel mit drei Sechsen, ein Würfel mit zwei Sechsen und ein Würfel mit drei Dreien.

De Friseur lehnde sick trügge un keek rundümto, up eene grautspurige Aort breet gneesend. He löt sick Tiet. De Lährer keek, schienbaor gelangwielt, up denn Dischk vör sick, dat Gesicht infruorn.

Der Friseur lehnte sich zurück und schaute rundum, auf eine großspurige Art breit grinsend. Er ließ sich Zeit. Der Lehrer schaute, scheinbar gelangweilt, auf den Tisch vor sich, das Gesicht eingefroren.

Magnum keek up denn Friseur. Konn et nich afwochten. Konn sick ‘n Gneesen nich verkniepen. Un alle wochteden. Un genau deswiägen löt sick de Friseur noch mähr Tiet.

Magnum schaute auf den Friseur. Konnte es nicht abwarten. Konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Und alle warteten. Und genau deswegen ließ sich der Friseur noch mehr Zeit.

Vör emm laggen de drei Würfel. He nammp denn Würfel mit de drei Sessen un schmeet. „Sess!“ De Lährer nammp denn Würfel mit de twee Sessen un schmeet. Sess. De Friseur keek rundümto un gneesde üöwerliägen vön een Aohr to ’t ännere. Magnum keek mit Vörfreide. Unverhuohlen. Ungeduldig. Gliekstand. Naichste Runde.

Vor ihm lagen die drei Würfel. Er nahm den Würfel mit den drei Sechsen und würfelte. „Sechs!“ Der Lehrer nahm den Würfel mit den zwei Sechsen und würfelte. Sechs. Der Friseur schaute rundum und grinste überlegen von einem Ohr zum anderen. Magnum schaute mit Vorfreude. Unverhohlen. Ungeduldig. Gleichstand. Nächste Runde.

Vör denn Friseur laggen wier de drei Würfel. De Friseur nammp denn Würfel mit de drei Sessen un schmeet. Eene. De Lährer nammp denn Würfel mit de drei Dreien un schmeet. „Drei.“ De Friseur keek rundümto un gneesde breet. De Lährer keek denn Germanen an, dat Gesicht immer noch versteenert. De Friseur gaff denn Lährer eenen 100-Euro-Schien in de Hand.

Vor dem Friseur lagen wieder die drei Würfel. Der Friseur nahm den Würfel mit den drei Sechsen und würfelte. Eins. Der Lehrer nahm den Würfel mit den drei Dreien und würfelte. „Drei.“ Der Friseur schaute rundum und grinste breit. Der Lehrer schaute den Germanen an, das Gesicht immer noch versteinert. Der Friseur gab dem Lehrer einen 100-Euro-Schein in die Hand.

Vör denn Friseur laggen wier de drei Würfel. De Friseur nammp denn Würfel mit de twee Sessen un schmeet. Veer. De Lährer nammp denn Würfel mit de drei Sessen un schmeet. „Sess.“ De Friseur keek rundümto un tröck eene scheewe Schnute. Magnum keek mit upkuemmende Unrast. De Friseur gaff denn Lährer eenen 100-Euro-Schien in de Hand.

Vor dem Friseur lagen wieder die drei Würfel. Der Friseur nahm den Würfel mit den zwei Sechsen und würfelte. Vier. Der Lehrer nahm den Würfel mit den drei Sechse und würfelte. „Sechs.“ Der Friseur schaute rundum und zog ein schiefes Gesicht. Magnum schaute mit aufkommender Unruhe. Der Friseur gab dem Lehrer einen 100-Euro-Schein in die Hand.

Vör denn Friseur laggen wier de drei Würfel. De Friseur nammp denn Würfel mit de twee Sessen un schmeet. Drei. De Lährer nammp denn Würfel mit de drei Dreien un schmeet. „Veer.“ De Friseur reef sick dat Kinn un keek up de Würfel. De Lährer streek sick dat Kinn un keek tefriäde up de Würfel. De Germane un de veer Kerls keeken sick unner’neener an, stott’n sick in ’e Rippen. De Friseur gaff denn Lährer eenen 100-Euro-Schien in de Hand.

Vor dem Friseur lagen wieder die drei Würfel. Der Friseur nahm den Würfel mit den zwei Sechsen und würfelte. Drei. Der Lehrer nahm den Würfel mit den drei Dreien und würfelte. „Vier.“ Der Friseur rieb sich das Kinn und schaute auf die Würfel. Der Lehrer strich sich das Kinn und schaute zufrieden auf die Würfel. Der Germane und die vier Kerle schauten sich untereinander an, stießen sich in die Rippen. Der Friseur gab dem Lehrer einen 100-Euro-Schein in die Hand.

Vör denn Friseur laggen wier de drei Würfel. De Friseur nammp denn Würfel mit de twee Sessen un schmeet. Eene. De Lährer nammp denn Würfel mit de drei Dreien un schmeet. „Drei.“ De Friseur streek sick de verschweet’en Haore trügge. Gneesen dää he nich men.

Vor dem Friseur lagen wieder die drei Würfel. Der Friseur nahm den Würfel mit den zwei Sechsen und würfelte. Eins. Der Lehrer nahm den Würfel mit den drei Dreien und würfelte. „Drei.“ Der Frisur strich sich die verschwitzten Haare zurück. Grinsen tat er nicht mehr.

Magnum lockerde de Ferrari-raude Krawatte. Dat Gneesen wäör emm infruorn. Emm wäör heet in dat Jackett. Mähr äs heet. De Hande wäörn verschweet‘. He streek se sick in ’e Buckse af. He fönk an te glaihen äs ‘n Leggehöhnken. De Friseur gaff denn Lährer eenen 100-Euro-Schien in de Hand.

Magnum lockerte die Ferrari-rote Krawatte. Das Grinsen war ihm eingefroren. Ihm war heiß in dem Jackett. Mehr als heiß. Die Hände waren verschwitzt. Er strich sie sich in der Hose ab. Er fing an zu glühen wie ein Backofen. Der Friseur gab dem Lehrer einen 100-Euro-Schein in die Hand.

Vör denn Friseur laggen wier de drei Würfel. De Friseur nammp denn Würfel mit de drei Dreien un schmeet. „Veer!“ De Lährer nammp denn Würfel mit de drei Sessen un schmeet. Eene. De Friseur streek sick mit denn Ärmel denn Schweet vön ’n Kopp un aomde deip düör. De Lährer keek üöwerliägen rundümto un gneesde breet. He gaff denn Friseur  eenen 100-Euro-Schien in de Hand.

Vor dem Friseur lagen wieder die drei Würfel. Der Friseur nahm den Würfel mit den drei Dreien und warf. „Vier!“ Der Lehrer nahm den Würfel mit den drei Sechsen und warf. Eins. Der Friseur strich sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Kopf und atmete tief durch. Der Lehrer blickte überlegen rundum und grinste breit. Er gab dem Friseur einen 100-Euro-Schein in die Hand.

Un so gönk dat wieder, Schlagg up Schlagg. Et wass nich so, dat de Friseur nich auk af un to wünn, un de Lährer gaff auk jedesmaol ohne wiederes ’n Hunnert-Euro-Schien trügge. Aower et wäör nich te verkennen, dat de Lährer dütlick öfters wünn äs de Friseur.

Und so ging es weiter, Schlag auf Schlag. Es war nicht so, dass der Friseur nicht auch ab und zu gewann, und der Lehrer gab auch jedes Mal ohne weiteres einen Hundert-Euro-Schein zurück. Aber es war nicht zu verkennen, dass der Lehrer deutlich öfter gewann als der Friseur.

Magnum löp dat Water vön ‘n Kopp. De Friseur würfelde teiärste – un verlüör trotzdem. Miästens. Kinne Kontrolle  –   dat hedde Unnerliägenheit. Dat hedde Unsicherheit. Dat konn nich sien. Dat droff nich sien. Dat Water löp Magnum vön ‘n Kopp. Et schlög siëm, un äs et viddel nao siëm schlög, dao hadde de Lährer denn Friseur de ganzen 600 Euro afnuommen.

Magnum lief das Wasser vom Kopf. Der Friseur würfelte zuerst – und verlor trotzdem. Meistens. Keine Kontrolle – das hieß Unterlegenheit. Das hieß Unsicherheit. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Das Wasser lief Magnum vom Kopf. Es schlug sieben, und als es viertel nach sieben schlug, da hatte der Lehrer dem Friseur die ganzen 600 Euro abgenommen.

De Friseur stönn up. De Lährer riäkede daomit, dat he wat siä, irgendwat üöwer Bedrugg, aower he tröck bloß ’ne scheewe Schnute un schüöf, ohne een Waort te säggen, schliepstiärts af. An siene Würfel dachde he gar nich men. Siene Haore kliëweden an ’n Kopp, un dat Parfüm rüök auk nich men sonderlick guet. „Dao treckt he hen. Nich men ganz so hauge in ‘n Kopp“, siä de Lährer ächter emm hiär,  „un nu auk noch siede in ’e Taschke.“

Der Friseur stand auf. Der Lehrer rechnete damit, dass er was sagte, irgendetwas über Betrug, aber er zog nur ein schiefes Gesicht und schob, ohne eine Wort zu sagen, mit hängendem Kopf davon. An seine Würfel dachte er gar nicht mehr. Seine Haare klebten am Kopf, und das Parfüm roch auch nicht mehr sonderlich gut. „Da zieht er dahin. Nicht mehr ganz so hochnäsig“, sagte der Lehrter hinter ihm her, „und jetzt auch noch mit leerer Tasche.“

Magnum tuckede bi dat Waort „Taschke“ tesammen. Hästerig keek he up siene Rolex.

Magnum zuckte bei dem Wort „Tasche“ zusammen. Hastig schaute er auf seine Rolex.

De Lährer stönn schwaorfällig up, waobi he denn Germanen ununnerbruoken in ’t Auge keek, iärst vön unnen, dann vön buom daale. De Lährer wäör baole eenen ganzen Kopp grötter äs de Germane. „Du häss immer all mähr Ahnung vön Mopeds hatt äs vön Mathematik. Menns du nich, dat et sachte Tiet wätt, mähr dienen Kopp te bruken?“ De Germane keek verliägen vör sick up ’n Grund. „Du kanns ja vön Glück säggen, dat ick düör Tofall hier wäör. So een grauden Kerl – aower wenn man genau henkick, dann konn man meinen, dat man noch de Eierschällen ächter diene Aohrn sitten sütt.“ Düsse Aohrn würn immer rauder, aower säggen dää de Germane nicks. Waohrschienlick wäör de Lährer tatsächlick fröher sien Lährer wesst. Un dann drückde de Lährer, ohne wieders wat te säggen, denn Germanen eenen Hunnert-Euro-Schien nao denn ännern in ’e Hand. 500 Euro. „De Rest is Lährgeld. Dat sall di denken helpen, dat et in ’t Liäben nich bloß up dicke Oberarms ankümmp.”

Der Lehrer stand schwerfällig auf, wobei er dem Germanen ununterbrochen ins Auge blickte, zuerst von unten, dann von oben herunter. Der Lehrer war fast einen ganzen Kopf größer als der Germane. „Du hast immer schon mehr Ahnung von Mopeds gehabt als von Mathematik. Meinst du nicht, dass es langsam Zeit wird, mehr deinen Kopf zu gebrauchen?“ Der Germane schaute verlegen vor sich auf den Boden. „Du hast ja Glück gehabt, dass ich durch Zufall hier war. So ein großer Kerl – aber wenn man genau hinguckt, dann könnte man meinen, dass man noch die Eierschalen hinter deinen Ohren sitzen sieht.“ Diese Ohren wurden immer roter, aber sagen tat der Germane nichts. Wahrscheinlich war der Lehrer tatsächlich früher sein Lehrer gewesen. Und dann drückte der Lehrer, ohne weiter etwas zu sagen, dem Germanen einen Hundert-Euro-Schein nach dem anderen in die Hand. 500 Euro. „Der Rest ist Lehrgeld. Das soll dir denken helfen, dass es im Leben nicht nur auf dicke Oberarme ankommt.“

De Germane stoppde de Schiene in siene Taschke, immer noch sichtlick verliägen. He nickkoppede. Ganz langsam tröck he sien Gesicht breet, mächtig breet.  “Jue Show hier wäör guet, würklick guet. Besten Dank auk, Herr Becker. Dat sall ick Ju maliäwe nich vergiäten.” De beiden gaffen sick de Hande, de jungen Kerls nickeden denn Lährer to un göngen druut. „Denkt dran“, röp iähr de Lährer nao, „wat ick ju fröher all immer säggt häff:

De Daore dött, wat ’e nich laoten kann,

un de Wiese lött, wat ’e nich doon kann.“

Der Germane stopfte die Scheine in seine Tasche, immer noch sichtlich verlegen. Er nickte. Ganz langsam zog er sein Gesicht breit, mächtig breit. „Ihre Show hier war gut, wirklich gut. Besten Dank auch, Herr Becker. Das werde ich Ihnen mein Leben lang nicht vergessen.“ Die beiden gaben sich die Hände, die jungen Kerle nickten dem Lehrer zu und gingen raus. „Denkt dran“, rief ihnen der Lehrer hinterher, „was ich euch früher schon immer gesagt habe:

Der Törichte tut, was er nicht lassen kann,

und der Weise lässt, was er nicht tun kann.“

Magnum stönn up. “Wat üm alles in ’e Wiält“, Magnum moss sick grämstern, „wat is dat bloß för een Spiël?” “Spiël? Gar kinn Spiël. Dat is Bedrugg, glatten Bedrugg.” “Aower  –  de frieë Utwahl! Dat is doch kinn Bedrugg!” Magnum wäör up maol heestrig. “Jaujau  –  de frieë Utwahl.“ De Lährer nammp siene Brille af, höllde se an beide Büegel wiet vön sick un inspizeerde se suorgfältig mit een Auge, dat ännere Auge tokniëpen. De Brille scheen emm rein noog te sien, jedenfalls sett’e he se wier up. „Ganz genau dao ligg doch de Bedrugg.“ De Lährer nammp denn lessten Schluck ut sien Glass. „Bi düt Spiël verlüss   i m m e r   de, well de frieë Utwahl häff. Dao krigg dat graude Waort „frie“ up maol ’ne ganz ännere Bedütung. Dao kann man seihn, mit wat för Ächterstiëke dat Liäben naihet.”

Magnum stand auf. „Was um alles in der Welt“, Magnum musste sich räuspern, „was ist das bloß für ein Spiel?“ „Spiel? Gar kein Spiel. Das ist Betrug, glatter Betrug.“ „Aber  –  die freie Auswahl! Das ist doch kein Betrug!“ Magnum war auf einmal heiser. „Jaja  – die freie Auswahl.“ Der Lehrer nahm seine Brille ab, hielt sie an beiden Bügeln weit von sich und inspizierte sie sorgfältig mit einem Auge, das andere Auge zusammengekniffen. Die Brille schien ihm rein genug zu sein, jedenfalls setzte er sie wieder auf. „Ganz genau da liegt der Betrug.“ Der Lehrer nahm den letzten Schluck aus seinem Glas. „Bei diesem Spiel verliert   i m m e r   der, der die freie Auswahl hat. Da bekommt das große Wort „frei“ auf einmal eine ganze andere Bedeutung. Da kann man sehen, wie hinterhältig das Leben spielt.“

Magnum krampede sick an ’e Dischkkante faste.

Magnum krampfte sich an der Tischkante fest.

De Buoden in denn Beergaorden fönk an, Wellen te schlaogen. Immer höggere Wellen. Wellen so hauge äs daomols bi de Fahrt nao Helgoland.

Der Boden im Biergarten fing an, Wellen zu schlagen, Immer höhere Wellen. Wellen so hoch wie damals bei der Fahrt nach Helgoland.

“Een Paradoxon – et giff för jeden Würfel eenen, well biäter is. För jeden. Un well teïärste schmitt, de verlüss. Mit graude Waohrschienlickkeit. Un up de Duer mit Sicherheit.”

„Ein Paradoxon – es gibt für jeden Würfel einen, der besser ist. Für jeden. Und wer zuerst würfelt, der verliert. Mit großer Wahrscheinlichkeit. Und auf Dauer mit Sicherheit.“

Magnum tuckede bi dat Waort „Sicherheit“ tesammen. „Sicherheit?!“ Viëlste laut kraoskede et ut Magnum herut, heestrig, schräpelig, „Sicherheit?!“

Magnum zuckte bei dem Wort „Sicherheit“ zusammen. „Sicherheit?!“ Viel zu laut krächzte es aus Magnum heraus, heiser, schrill, „Sicherheit?!“

De Lährer keek Magnum in ’t Gesicht. „Is wat? Geiht et Ju nich guet?“ He konn Magnum nich so eenfack inriegen, irgendwat stimmde mit denn Kerl nich, he wäör up eegenaortige Wiese änners.

Der Lehrer schaute Magnum ins Gesicht. „Ist was? Geht es Ihnen nicht gut?“ Er konnte Magnum nicht so einfach einordnen, irgendetwas stimmte mit dem Kerl nicht, er war auf eigenartige Weise anders.

Magnum winkede af. „Näi, näi, et is gar nicks. Mi is bloß te warm.“ He pöck denn Krawattenknüpp mit de Fuust. Tröck denn Knüpp, ganz in Gedanken, langsam löss. Stoppde denn rauden Lappen, ganz in Gedanken, in siene Bucksentaschke.

Magnum winkte ab. „Nein, nein, es ist gar nichts. Mir ist nur zu warm.“ Er packte den Krawattenknoten mit der Faust. Zog den Knoten, ganz in Gedanken, langsam los. Stopfte den roten Lappen, ganz in Gedanken, in seine Hosentasche.

De Lährer hadde dat Geföhl, dat he noch wat naoschuben moss. “Wat sall ick säggen – mit düt Spiël päck man de ganz Schlauen, de, well meint, dat se schlauer sind äs ännere.“

Der Lehrer hatte das Gefühl, dass er noch etwas nachlegen musste. „Was soll ich sagen – mit diesem Spiel packt man die ganz Schlauen, die, die meinen, dass sie schlauer sind als andere.“

Magnum stönn up. Mit aller Gewolt versochde he, sien Gliekgewicht te haolen, äs he ruutgönk. Hölterig un schwiëkelig stakede he, messnatt schweet’ un verluorn, üöwer de fiädernde Straote. De Angst, dat de Grund unner siene Föte endgültig naogiëben konn un he eenfack in denn grüwweliggen Unnergrund versackede, düsse Angst schnöerde emm de Struote to.

Magnum stand auf. Mit aller Gewalt versuchte er, sein Gleichgewicht zu halten, als er rausging. Hölzern und schwankend stakste er, klatschnass geschwitzt und verloren, über die federnde Straße. Die Angst, dass der Boden unter seinen Füßen endgültig nachgeben könnte und er einfach in den grausigen Untergrund versackte, diese Angst schnürte ihm die Kehle zu.

De spaortlicke Frau, well mit fleigende Haore an emm vörbisusede, de säög he gar nich. Auk nich iähre giäle Taschke.

[veröffentlicht im Jahrbuch für den Kreis Steinfurt 2014, S. 237]

Die sportliche Frau, die mit fliegenden Haaren an ihm vorbeisauste, die sah er gar nicht. Auch nicht ihre gelbe Tasche.