Literarische Texte – Prosa“Rüentiägert”

Rüentiägert   (vön Rudolf Averbeck – Kurznovelle)

Hundeärgerer   (von Rudolf Averbeck – Kurznovelle)

Soldaoten, üöwerall. Vön dat „Schwatte Imperium“. Dao, dao ächten! Drei Stück! Bobs Maschinengewiähr riätterde löss. „Rattattattattatt.“ De drei röpen „Aaah“. Dreiheden sick. Föllen üm. Laggen in Blotpöle. Bob gneesde kuort. Ieskaolt. Siene Wut löt nao. Allmäöhlick.

Soldaten, überall. Von dem „Schwarzen Imperium“. Da, da hinten! Drei Stück!  Bobs Maschinengewehr ratterte los. „Rattattattattatt.“ Die drei riefen „Aaah“. Drehten sich. Fielen um. Lagen in Blutlachen. Bob grinste kurz. Eiskalt. Seine Wut ließ nach. Allmählich.

Nie totrocken. Vör veer Wiäken. In dütt jämmerlicke Städtken. He un Mama. Alles früemd. Nieë Schole. Alles Früemde. Un vöndage droff he mitspiëlen. To ’t iärste Maol. Fußball. Mit de Junges ut de Klasse. Mähr äs ‘n Spiël. Blaue Placken. Niësenblöen. Een Kamp. Knallhatt. Bis to ‘t Verrecken. Un he? He? He häff ’n Tor schuoten.

Neu zugezogen. Vor vier Wochen. In dieses jämmerliche Städtchen. Er und Mama. Alles fremd. Neue Schule. Alles Fremde. Und heute durfte er mitspielen. Zum ersten Mal. Fußball. Mit den Jungs aus der Klasse. Mehr als ein Spiel. Blaue Flecken. Nasenbluten. Ein Kampf. Knallhart. Bis zum Verrecken. Und er? Er? Er hat ein Tor geschossen.

Schatten, twee, sietlick. Ächter een kaputtet Fenster. Soldaoten, schwatte. Handgranate, Splint rut, rinschmiëten, Knall. De beiden röpen „Aaah“. Flüögen düör de Luft. Laggen up de Straote. In graude Blotpöle. He gneesde kuort. Kaolt. Mitleedlöss.

Schatten, zwei, seitlich. Hinter einem kaputten Fenster. Soldaten, schwarze. Handgranate, Splint raus, reingeschmissen, Knall. Die beiden riefen „Aaah“. Flogen durch die Luft. Lagen auf der Straße. In großen Blutlachen. Er grinste kurz. Kalt. Mitleidlos.

Kneep de Lippen up’neener. Aomde deip düör. Tollet Tor. ’n Eegentor.

Kniff die Lippen aufeinander. Atmete tief durch. Tolles Tor. ’n Eigentor.

“Rattattattattatt”, immer wier „Rattattatt“. Un „Aaah“-Rope. Dat Imperium betahlde. För sien Eegentor.

„Rattattattattatt“, immer wieder „Rattattattattatt“. Und „Aah“-Rufe. Das Imperium bezahlte. Für sein Eigentor.

Vön ‘n Platz schmiëten. Höhnischke Sprüeke. „Wätt bi ju in Bremen soooo Fußball spiëlt?“

Vom Platz geschmissen. Höhnische Sprüche. „Wird bei euch in Bremen soooo Fußball gespielt?“

Verluorn. Wiägen emm. In siene Klasse kreeg he kinn Been men an ’n Grunde. Dat wäör sicher. Afsolut sicher.

Verloren. Wegen ihm. In seiner Klasse kriegte er kein Bein mehr an den Grund. Das war sicher. Absolut sicher.

Soldaoten dautscheiten. Dat konn he. Toll. Tore scheiten? Dat konn he nich. Un noch wat: Mathe konn he auk nich.

Soldaten totschießen. Das konnte er. Toll. Tore schießen? Das konnte er nicht. Und noch etwas: Mathe konnte er auch nicht.

„Dämlicket Ballerspiël!“ He stellde de Kiste af. Daudenstille. Un nu? He hadde wull hülen konnt. Wu soll dat wiedergaohn? Kinne Utsichten. Kinne Perspektiven.

„Dämliches Ballerspiel!“ Er stellte die Kiste ab. Totenstille. Und nun? Er hätte wohl heulen können. Wie sollte das weitergehen? Keine Aussichten. Keine Perspektiven.

De Husdüör knallde in ‘t Schlott. „Bin wier dao!“, höllde Mama denn Kopp rin. „Ick häff di ’ne Posaune mitbracht. Häss du schön Fußball spiëlt?“ Un wegg wäör se all wier, in ’e Küeke.

Die Haustür knallte ins Schloss. „Bin wieder da!“, hielt Mama den Kopf rein. „Ich habe dir eine Posaune mitgebracht. Hast du schön Fußball gespielt?“ Und weg war sie schon wieder, in die Küche.

„Jau“ röp Bob iähr ächterhiär, half leise. Mama kliäterde all mit Geschirr, un he dachde an Bremen. Aower Bremen kammp nich wier. Vörbie. För immer.

„Jau“, rief Bob ihr hinterher, halb leise. Mama klapperte schon mit Geschirr, und er dachte an Bremen. Aber Bremen kam nicht wieder. Vorbei. Für immer.

He tuckede bi’neener.  „Du häss mi   w a t   mitbracht?“

„’ne Posaune, mien Grauden. Wäör gar nich düer.“

Er zuckte zusammen. „Du hast mir   w a s   mitgebracht?“

„’ne Posaune, mein Großer. War gar nicht teuer.“

Kaolet Metall, dunkel anlaupen. ‘n paar Bratzen un Düeke. Olt, helle olt. Waohrschienlick hadden dao all Neandertaler up blosst. „Sall üöwrigens ’ne verzauberte Posaune sien“, kliäterde et ut de Küeke. „Ha-ha-ha!“, dachde Bob un röp brasstig Richtung Küeke: „Ick bin all twiälf! Twiä–hä–hälf!“ Mama höllde wier denn Kopp düör de Düör. „Jau wisse, mien Grauden. Is natürlick dumm Tüüg, aower de Verkaiper woll sick dat nich utküern laoten.“

Kaltes Metall, dunkel angelaufen. ’n paar Schrammen und Beulen. Alt, sehr alt. Wahrscheinlich hatten da schon Neandertaler drauf geblasen. „Soll übrigens ’ne verzauberte Posaune sein“, klapperte es aus der Küche. „Ha-ha-ha!“, dachte Bob und rief ärgerlich Richtung Küche: „Ich bin schon zwölf! Zwö–ö–hölf!“ Mama hielt wieder den Kopf durch die Tür. „Ja, sicher, mein Großer. Ist natürlich dummes Zeug, aber der Verkäufer wollte sich das nicht ausreden lassen.“

’ne verzauberte Posaune – toll. De feihlde emm ja auk jüst noch. Un Friedagg ’ne Mathearbeit. Datte, dat wäör se. De naichste Katastrophe. Un se krüöp naiger. Nich uptehaolen.

Eine verzauberte Posaune – toll. Die fehlte ihm ja auch gerade noch. Und Freitag ’ne Mathearbeit. Das, das war sie. Die nächste Katastrophe. Und sie kroch näher. Nicht aufzuhalten.

Dat Blaosen up de Posaune gönk, well ha‘ dat dacht, ganz licht. Nao ’t Iäten blossde he ‘ne ganze Tiet. Blossde. Tröck denn Zugg ut. Blossde verscheidene Töne. Hauge un deipe.

Das Blasen auf der Posaune ging, wer hätte das gedacht, ganz leicht. Nach dem Essen blies er eine ganze Weile. Blies. Zog den Zug aus. Blies verschiedene Töne. Hohe und tiefe.

To „verzauberte Posaune“ gaff et kinnen ennzigen Treffer in ‘t Internet. Bi „Posaune“ mähr äs twee’nhalf Millionen. He hüppkede düör de Posaunensieten, lessde ’n lück hier, ’n biëtken dao un hadde sick wenne fastebiëten. Äs he de Kiste wier afstellde, säög de Wiält dütlick fröndlicker ut. Et gönk doch nicks üöwer eenen gueden Plan. Un well konn all wiëten, wu olt äs de Posaune würklick wäör?

Zu „verzauberte Posaune“ gab es keinen einzigen Treffer im Internet. Bei „Posaune“ mehr als zweieinhalb Millionen. Er hüpfte durch die Posaunenseiten, las etwas hier, ein bisschen da und hatte sich bald festgebissen. Als er die Kiste wieder abstellte, sah die Welt deutlich freundlicher aus. Es ging doch nichts über einen guten Plan. Und wer konnte schon wissen, wie alt die Posaune wirklich war?

De Husdüör knallde in ‘t Schlott. „Bin wier dao!“, höllde Mama denn Kopp rin. „Wäör et schön in ’e Schole?“ Un wegg wäör se all wier, in ’e Küeke, dreihede sick aower up ‘n Afsatz un stönd mitten in Bobs Zimmer, de Inkaupstaschke noch in ‘e Hand. „Bob?!“ Kinn Bob wäör dao.

Die Haustür knallte ins Schloss. „Bin wieder da!“, hielt Mama den Kopf rein. „War es schön in der Schule?“ Und weg war sie schon wieder, in der Küche, drehte sich aber auf dem Absatz und stand mitten in Bobs Zimmer, die Einkaufstasche noch in der Hand. „Bob?!“ Kein Bob war da.

Mitdes schellde et. Buten stönn, mit rauden Kopp un Posaune in ‘e Hand, Bob, kiëgen sick eenen Polzisten.

In diesem Moment schellte es. Draußen stand, mit rotem Kopf und Posaune in der Hand, Bob, neben sich einen Polizisten.

„Üm Gottes Willen.“ Mama gönk trügge un moss sick setten, de Schreck wäör iähr in ‘e Knuoken schuoten. Un dat woll all wat heiten, denn Mama wäör ‘ne zimmlick taohe Mama. „Nicks laiget“, de Polzist tippde an siene Uniformmüsse, „aower ’n biëtken mähr äs gar nicks wäör ’t dann doch wull.“ Bob keek spee vön unnen hauch. „Juen jungen Mussiker hier is immer üm de Schole laupen un häff daobi derbe Radau makt mit siene Posaune. Dat nennt sick Ruhestörung. De Lährerkonferenz wäör nich amüseert.“ Mama wäör sprachlöss, un dat kammp selten noog vör. Bob froggde leise, üm de Stille te beenden: „Mott ick nu in ’t Kittken?“ „Natürlick nich“, lachde de Polzist. „Blaos män flietig wieder up diene Posaune. Aower denk auk maol an de ännern un wat Wilhelm Busch all säggt häff: ‚Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.‘“ Nao ‘n kuortet Tippen an ‘e Uniformmüsse wäörn se wier halleene.

„Um Gottes Willen.“ Mama ging zurück und musste sich setzen, der Schreck war ihr in die Knochen geschossen. Und das wollte schon was heißen, denn Mama war eine ziemlich zähe Mama. „Nichts schlimmes,“ der Polizist tippte an seine Uniformmütze, „aber ’n bisschen mehr als gar nichts war ’s dann doch wohl.“ Bob blickte scheu von unten hoch. „Ihr junger Musiker hier ist immer um die Schule gelaufen und hat dabei kräftig Radau gemacht mit seiner Posaune. Das nennt sich Ruhestörung. Die Lehrerkonferenz war nicht amüsiert.“ Mama war sprachlos, und das kam selten genug vor. Bob fragte leise, um die Stille zu beenden: „Muss ich jetzt ins Gefängnis?“ „Natürlich nicht“, lachte der Polizist. „Blas nur fleißig weiter auf deiner Posaune. Aber denk auch mal an die anderen und was Wilhelm Busch schon gesagt hat: ’Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.‘“ Nach einem kurzen Tippen an die Uniformmütze waren sie wieder alleine.

„Na, du kümmps aower auk up Ideen, mien Grauden.“ Mama keek emm vön ‘e Siete an. „Immer rund üm de Schole? Mit de   P o s a u n e ?“ Düssen füörschkenden Blick kannde Bob. Wenn Mama sooo keek, dann woll se et ganz genau wiëten. Un dann löt se sick auk nicks vörmaken. „Jericho!“ Mama schnippkede mit de Fingers. „De Posaunen vön Jericho.“ Bob siä nicks. Mama konn sick ‘n kuortet Lachen nich verkniepen, würd aower faorts wier ernst.

„Na, du kommst aber auch auf Ideen, mein Großer.“ Mama sah ihn von der Seite an. „Immer rund um die Schule? Mit der   P o s a u n e ?“ Diesen forschenden Blick kannte Bob. Wenn Mama sooo guckte, dann wollte sie es ganz genau wissen. Und dann ließ sie sich auch nichts vormachen. „Jericho!“ Mama schnipste mit den Fingern. „Die Posaunen von Jericho.“ Bob sagte nichts. Mama konnte sich ein kurzes Lachen nicht verkneifen, wurde aber sofort wieder ernst.

„Aower waorüm? Robert – wat is löss?“ Bobs Lippen wäörn schmal äs ’n Striëk. “De Mathearbeit, düssen Friedagg.” Un Mama verstönn. Nao ’t Aomdiäten satten beide ächter Bobs Mathebok. Nich äs ’ne halwe Stunne, un Bob hadde alles begriëpen. So schwaor wäör dat gar nich, de Steent, well emm vön ’t Hiärt föll, wäör wull dubbelt so schwaor wesst.

„Aber warum? Robert – was ist los?“ Bobs Lippen waren schmal wie ’n Strich. „Die Mathearbeit, diesen Freitag.“ Und Mama verstand. Nach dem Abendessen saßen beide hinter Bobs Mathebuch. Nicht mal eine halbe Stunde, und Bob hatte alles begriffen. So schwer war das gar nicht, der Stein, der ihm vom Herzen fiel, war wohl doppelt so schwer gewesen.

Un dann vertällde he, dat dummerwiese auk Lährer Becker, sien Mussiklährer, bi de Konferenz wesst wäör un dat he muorn de Posaune mitbrengen moss nao Schole.

Und dann erzählte er, dass dummerweise auch Lehrer Becker, sein Musiklehrer, bei der Konferenz gewesen war und dass er morgen die Posaune mitbringen musste zur Schule.

De Mussikstunde löp nich so guët. Kai, well immer dat graude Waort föherde, behauptede, dat Posaunen de versautesten Instrumente wäörn, well ’t üöwerhaupt gaff. „Vüörne ’n Po un in ‘e Mitte ’ne Sau – viël laiger geiht et nich.“ Natürlick hadden alle lachet, aower Lährer Becker fünd dat gar nich witzig. „Wat spiëls du dann för ’n Instrument, Kai?“ hadde he froggt. „Ick spiël gar kinn Instrument, ick spiël Fußball.“ – „Un Bob spiëlt Posaune“ hadde de Lährer säggt, un Kai daorupp halflaut, aower so, dat alle et häörn konnen: „Jau, weil ’e te dämlick to ’t Fußballspiëlen is.“ Un wier hadden alle lachet. Am lautesten Miriam. Un dat konn Bob am weinigsten bruken.

Die Musikstunde lief nicht so gut. Kai, der immer das große Wort führte, behauptete, dass Posaunen die versautesten Instrumente wären, die ’s überhaupt gab. „Vorne ein Po und in der Mitte eine Sau – viel schlimmer geht es nicht.“ Natürlich hatten alle gelacht, aber Lehrer Becker fand das gar nicht witzig. „Was spielst du denn für ein Instrument, Kai?“ hatte er gefragt. „Ich spiel gar kein Instrument, ich spiel Fußball.“  „Und Bob spielt Posaune“ hatte der Lehrer gesagt, und Kai darauf halblaut, aber so, dass alle es hören konnten: „Jau, weil er zu dämlich zum Fußballspielen ist.“ Und wieder hatten alle gelacht. Am lautesten Miriam. Und das konnte Bob am wenigsten gebrauchen.

„Ick häff fröher auk ‘ne Posaune hatt.“ Lährer Becker sett’e sick ächter ‘t Lährerpult, lehnde sick wiet trügge, leggde denn Kopp in ‘n Nacken un keek ‘ne ganze Wiele an ‘e Diëke. „Wenn ick mi dat so üöwerlegge … – wi wäörn de besten fröher nich. Miene Öllern häbbt oft noog säggt, dat ick de gröttste Liëderwams wiet un sied wäör, un dat woll all wat heiten. Laigheiten, nicks äs Laigheiten in ’n Kopp.“ He unnerbrüök sick, töwede. „Wieder vertällen!“, röp Martin. So ‘ne kleine Liäbensbichte vön ‘nen Lährer – dat gaff et schließlick nich alle Dage. Aower et duerde wat, bis dat Lährer Becker sick resolveerde.

„Ich habe früher auch eine Posaune gehabt.“ Lehrer Becker setzte sich hinter das Lehrerpult, lehnte sich weit zurück, legte den Kopf in den Nacken und blickte eine ganze Weile an die Decke. „Wenn ich mir das so überlege … – wir waren die besten früher nicht. Meine Eltern haben oft genug gesagt, dass ich der größte Lümmel weit und breit war, und das wollte schon was heißen. Übeltaten, nichts als Übeltaten im Kopf.“ Er unterbrach sich, zögerte. „Weiter erzählen!“, rief Martin. So eine kleine Lebensbeichte von einem Lehrer – das gab es schließlich nicht alle Tage. Aber es dauerte etwas, bis dass sich Lehrer Becker zum Weitererzählen entschloss.

„Wat de Posaune angeiht – ick hadde rutfunnen, dat de Kiëdenrüe vön uesen Naober Angst hadde vör de Posaune. Un nich eenfack so Angst, näi, richtige Angst.“

„Was die Posaune angeht – ich hatte rausgefunden, dass der Kettenhund unseres Nachbarn Angst hatte vor der Posaune. Und nicht einfach so Angst, nein, richtige Angst.“

He keek de Klasse indringlick rund. „Dau-des-angst.“ He aomde deip düör. „Un ick, ick hadde natürlick nicks biäteret te doon, äs emm jeden Dagg wat vörteblaosen.“  He schweeg. „Wieder!“ röp (utgeriäknet) Kai. „Wat vörteblaosen, mit de Posaune. Sowat vön verfiärt häff ick nie wier bi een Dier seihn. Miene Posaune hedde deswiägen üöwerall ’Rüentiägert’ – Hundeärgerer.“ Lährer Becker rischkede sick up un aohmde deip düör. „Wenn ick so drüöwer naodenke: dat wäör nicks änners äs Dierquiälerie.“

Er schaute eindringlich rundum die Klasse an. „To-des-angst.“ Er atmete tief durch. „Und ich, ich hatte natürlich nichts Besseres zu tun, als ihm jeden Tag was vorzublasen.“ Er schwieg. „Weiter“ rief (ausgerechnet) Kai. „Was vorzublasen, mit der Posaune. Sowas von verängstigt habe ich nie wieder bei einem Tier gesehen. Meine Posaune hieß deswegen überall ’Rüentiägert’ – ’Hundeärgerer’.“ Lehrer Becker richtete sich auf und atmete tief durch. „Wenn ich so drüber nachdenke: das war nichts anderes als Tierquälerei.“

„Wao kann man Posaunen kaupen?“, woll Kai wiëten. Aower düttmaol lachede nicheener.

„Wo kann man Posaunen kaufen?“, wollte Kai wissen. Aber diesmal lachte keiner.

Up Bobs Naohusewegg lagg een Spiëlplatz. He sett’e sick up eene Bank, dicht bi de Sandkiste, denn Posaunenkuffer kiëgen sick. Kinner spiëlden mit Geschrei, Möhers satten te quatern un te telefoneern. Een kleinet Wichtken branschkede Maord un Brand, weil et noch nich nao Hus hen woll un gaff iärst Ruhe, äs et wier in de Sandkiste satt. „Fief Minuten un nich eene Minute länger – wi müet’t nao Hus!“, siä de Mama üöwerfüördert.

Auf Bobs Nachhauseweg lag ein Spielplatz. Er setzte sich auf eine Bank, dicht bei der Sandkiste, den Posaunenkoffer neben sich. Kinder spielten mit Geschrei, Mütter saßen da zu reden und zu telefonieren. Ein kleines Mädchen brüllte Mord und Brand, weil es noch nicht nach Hause hin wollte und gab erst Ruhe, als es wieder in der Sandkiste saß. „Fünf Minuten und nicht eine Minute länger – wir müssen nach Hause!“, sagte die Mama überfordert.

Martin satt up Maol kiëgen emm. „Wies äs de Posaune“, siä he un inspizeerde se utföhrlick, versochde aower nich, daodrupp te blaosen.

Martin saß auf einmal neben ihm. „Zeig mal die Posaune“, sagte er und inspizierte sie ausführlich, versuchte aber nicht, darauf zu blasen.

Ganz vön wieten kammp ‘n upgetakeltet Madämken anstöckelt, mit viëlste hauge Stöckelschohe, viëlste kuortet Röcksken un viëlste grauden Rottweiler an ’e Liene. Martin gaff Bob de Posaune trügge.

Ganz von weitem kam ein aufgetakeltes Madämchen angestöckelt, mit viel zu hohen Stöckelschuhen, viel zu kurzem Röckchen und viel zu großem Rottweiler an der Leine. Martin gab Bob die Posaune zurück.

Waorüm auk immer, dat Dier stüöf up eenmaol löss, de Liene tröck sick stramm, dat Frommenschk stüört’e vön siene haugen Stöckelschohe runner un schlög lang up de Straote hen. De Rüe schlüörde de schräpende Frau ächter sick hiär, Kopp, Kneie un Ellbüögens blodden un se raosde, wat se bloß ut ‘n Halse rutbrengen konn, äs se de Liene lösslöt: „Struppi, Struuppi, Struppiiiihiihii.“ Aower Struppi lusterde för kinne fief Pennig, he jaggde up denn Spiëlplatz to, liekut up de Sandkiste to, un dao satt dat Lütke, säög dat Dier up sick tobiärssen kuemmen, löt vör Verwünnerung dat Sandschüppken fallen, dreihede dat Köppken nao siene Mama, wiesede mit sien Ärmken up denn Rottweiler un siä so laut, dat alle et in de plötzlicke Stille rin dütlick häörn konnen: „Da, Wauwau!“. Bob un Martin satten, stockstief vör Schreck, un konnen sick nich tucken. Et wäör, äs wenn bi all de Sommerhitze alles infruorn wäör, bloß de Rüe jaggde mit ruuthangender Tunge un lange witte Tiähne liekut liekan up dat Lütke to. De Moher keek ächter iähre Füüste mit wiet uprett’e Augen up denn Rüen un up dat Lütke. In düssen Moment sprüng Bob up, de Posaune noch in ‘e Hande.

Warum auch immer, das Tier stob auf einmal los, die Leine zog sich stramm, das Frauenzimmer stürzte von seinen hohen Stöckelschuhen runter und schlug lang auf die Straße hin. Der Hund schleifte die kreischende Frau hinter sich her, Kopf, Kniee und Ellenbogen bluteten und sie schrie, was sie bloß aus dem Hals rausbringen konnte, als sie die Leine losließ: „Struppi, Struuppi, Struppiiihiihii.“ Aber Struppi hörte für keine fünf Pfennige, er jagte auf den Spielplatz zu, geradeaus auf die Sandkiste zu, und da saß die Kleine, sah das Tier auf sich zustürzen kommen, ließ vor Verwunderung das Sandschüppchen fallen, drehte das Köpfchen zu seiner Mama, zeigte mit seinem Ärmchen auf den Rottweiler und sagte so laut, dass alle es in die plötzliche Stille hinein deutlich hören konnten: „Da, Wauwau!“. Bob und Martin saßen, stocksteif vor Schreck, und konnten sich nicht bewegen. Es war, als wenn bei all der Sommerhitze alles eingefroren wäre, nur der Hund jagte mit raushängender Zunge und langen weißen Zähnen geradeaus auf die Kleine zu. Die Mutter sah hinter ihren Fäusten mit weit aufgerissenen Augen auf den Hund und auf die Kleine. In diesem Moment sprang Bob auf, die Posaune noch in den Händen.

Martins Papa stönn unnen an ‘e Treppe un röp hauch: „Et steiht all in ‘e Zeitung!“, un lessde laut vör, daomit Martin dat all bi ‘t Antrecken in sien Zimmer häörn konn. „Wunder auf dem Spielplatz. Keine zwei Wochen nach der tödlichen Hundeattacke in Köln wurde gestern auch bei uns ein Kleinkind von einem Kampfhund angefallen.“

Martins Papa stand unten an der Treppe und rief hoch: „Es steht schon in der Zeitung!“, und las laut vor, damit Martin das schon beim Anziehen in seinem Zimmer hören konnte. „Wunder auf dem Spielplatz. Keine zwei Wochen nach der tödlichen Hundeattacke in Köln wurde gestern auch bei uns ein Kleinkind von einem Kampfhund angefallen.“

Kais Opa kreeg ‘n rauden Kopp. „Dat is doch wull nich waohr! Häör di dat äs an!“ Kais Oma röherde iährn Kaffee üm un lusterde. He grämmsterde sick. „Ausgerechnet auf einem Spielplatz stürzte sich ein Rottweiler auf ein Kleinkind. Nur durch das geistesgegenwärtige und mutige Eingreifen des zwölfjährigen Robert A. konnte er verjagt werden, bevor das Kleinkind verletzt wurde. Zeugen zufolge schlug Robert A. den anstürmenden Rottweiler mit einer Zugposaune in die Flucht.“ He löt de Zeitung fallen un keek Kais Oma an. „Dat giff ‘t doch wull nich.“ He aomde deip düör, up siene ollen Dage bleef emm oft de Luft wegg, wenn he sick upregede.

Kais Opa bekam einen roten Kopf. „Das ist doch wohl nicht wahr! Hör dir das mal an!“ Kais Oma rührte ihren Kaffe um und hörte zu. Er räusperte sich. „Ausgerechnet auf einem Spielplatz stürzte sich ein Rottweiler auf ein Kleinkind. Nur durch das geistesgegenwärtige und mutige Eingreifen des zwölfjährigen Robert A. konnte er verjagt werden, bevor das Kleinkind verletzt wurde. Zeugen zufolge schlug Robert A. den anstürmenden Rottweiler mit einer Zugposaune in die Flucht.“ Er ließ die Zeitung fallen und sah Kais Oma an. „Das gibt ’s doch wohl nicht.“ Er atmete tief durch, auf seine alten Tage blieb ihm oft die Luft weg, wenn er sich aufregte.

Twee Hüser wieder schnappede auk Miriam’s Mutti nao Luft. Se regede sick sowieso ständig üöwer de viëlen Rüens in ‘e Stadt up. „Up ‘n Spiëlplatz! Dat draff doch wull nich waohr sien! Up ‘n Spiëlplatz! To, wieder!“ „Robert blies den anstürmenden Hund mit der Posaune in voller Lautstärke direkt an. Die Polizei vermutet“, lessde Miriam wieder vör, „dass der laute Ton der Posaune in Verbindung mit dem sich gleichzeitig auf ihn zubewegenden Posaunenzug den Rottweiler dermaßen in Panik versetzte, dass er seinen Angriff schlagartig abbrach. Etwa 20 Personen waren Augenzeuge des unglaublichen Vorfalls, viele sprachen von einem Wunder.“

Zwei Häuser weiter schnappte auch Miriams Mutti nach Luft. Sie regte sich sowieso ständig über die vielen Hunde in der Stadt auf. „Auf einem Spielplatz! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Auf einem Spielplatz! Los, weiter!“ „Robert blies den anstürmenden Hund mit der Posaune in voller Lautstärke direkt an. Die Polizei vermutet“, las Miriam weiter vor, „dass der laute Ton der Posaune in Verbindung mit dem sich gleichzeitig auf ihn zu bewegenden Posaunenzug den Rottweiler dermaßen in Panik versetzte, dass er seinen Angriff schlagartig abbrach. Etwa 20 Personen waren Augenzeuge des unglaublichen Vorfalls, viele sprachen von einem Wunder.“

Lährer Becker wäör kriedewitt aftrocken. In de Klasse wäör et daudenstill. „Die kleine Marianne H. und auch der junge Mann, der so mutig eingeschritten ist, hatten wohl besonders gute Schutzengel.“ He löt de Zeitung up ‘t Pult fallen un keek de Klasse an. „Jungejunge, dat hadde aower auk gefäöhrlick in ‘t Auge gaohn konnt.“

Lehrer Becker war kreidebleich geworden. In der Klasse war es totenstill. „Die kleine Marianne H. und auch der junge Mann, der so mutig eingeschritten ist, hatten wohl besonders gute Schutzengel.“ Er ließ die Zeitung auf das Pult fallen und sah die Klasse an. „Jungejunge, das hätte aber auch gefährlich ins Auge gehen können.“

Bob wäör, äs man vöndage so sägg, „talk of the town“, un he follde sick benaude daobi. Äs Kai emm eenen Knuff in de Rippen gaff un vön emm wiëten woll, wat he dann mit siene twiälf Jaohre üöwerhaupt up eenen Spiëlplatz mök, lacheden alle, auk Bob, – un de Benaudigkeit löt nao.

Bob war, wie man heute so sagt, „talk of the town“, und er fühlte sich beklommen dabei. Als Kai ihm einen Knuff in die Rippen gab und von ihm wissen wollte, was er denn mit seinen zwölf Jahren überhaupt auf einem Spielplatz machte, lachten alle, auch Bob, – und die Beklommenheit ließ nach.

In ’e twedde Stunde vibreerde et in Bobs Bucksentaschke. Eene SMS – siene alleriärste up de nieë Schole. „Steiht de Inladung up ‘ne Cola immer noch?“ woll Miriam wiëten. Bob schreef trügge: „Natürlick – een Mann, een Waort!  PS: Louis, ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, un Miriam schreef trügge: “Okay – im „Casablanca“. Heute um 15.00 Uhr? Humphrey Bogart.“

In der zweiten Stunde vibrierte es in Bobs Hosentasche. Eine SMS – seine allererste auf der neuen Schule. „Steht die Einladung auf eine Cola immer noch?“ wollte Miriam wissen. Bob schrieb zurück: „Natürlich – ein Mann, ein Wort! PS: Louis, ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, und Miriam schrieb zurück: „Okay – im „Casablanca“. Heute um 15.00 Uhr? Humphrey Bogart.“

Verstuohlen keek he nao iähr rüöwer. Un se to emm. So eene Inladung hadde et beslang gar nich giëben – aower nu, nu gaff et se.

Verstohlen sah er zu ihr rüber. Und sie zu ihm. So eine Einladung hatte es bislang gar nicht gegeben – aber jetzt, jetzt gab es sie.

Et geiht doch nicks, dachde Bob, üöwer eene verzauberte Posaune.

Es geht doch nichts, dachte Bob, über eine verzauberte Posaune.

[veröffentlicht im Jahrbuch für den Kreis Steinfurt 2013]