Sachtexte – “De Dialektunnersökung”

De graute Dialektunnersökung vön 1879/80     (vön Rudolf Averbeck)

Die große Dialektuntersuchung von 1879/80   (von Rudolf Averbeck)

2011 jäöhrde sick to ’t hunnertste Maol de Daudesdagg vön Georg Wenker (1852 – 1911). He wass Spraokwissenschaftler un vön 1888 bis 1911 Leiter vön dat „Forschungsinstitut für Deutsche Sprache“. Dütt Institut häört to de Philipps-Universität Marburg un hett vöndage „Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas“. De hunnertste Daudesdagg is een Angiëfken, sick äs ’n lück mit düssen bedütenden Mann te befassen – schließlick häff he auk mit uese Mönsterlänner Platt viël te doon.

2011 jährte sich zum hundertsten Mal der Todestag von Georg Wenker (1852 – 1911). Er war Sprachwissenschaftler und von 1888 bis 1911 Leiter des „Forschungsinstituts für Deutsche Sprache“. Dieses Institut gehört zur Philipps-Universität Marburg und heißt heute „Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas“. Der hundertste Todestag ist ein willkommener Anlass, sich mal ein wenig mit diesem bedeutenden Mann zu befassen – schließlich hat er auch mit unserem Münsterländer Platt viel zu tun.

Georg Wenker häff de eerste ümfassende Dialektunnersökung in ganz Dütschkland düörföehrt. Siene würklick geniale Idee bestönn daodrin, dat he üöwerall de glieken hauchdütschken Sätze in de jeweiligen Lokaldialekte üöwerdriägen löt. Daoför hadde he 40 Sätze entwickelt, de so anleggt wäörn, dat man Vokabular, Grammatik un spraoklicke Besonderheiten up eenfacke Wiese heruutarbeiden konn. Alle „Wenker-Büögens“ wäörn düörnummereert un konnen anhand vön iähre Nummern ganz eenfack up eene Landkarte üöwerdruogen wärn. Up de Wiese konn man Spraokkarten utarbeiden, un düsse Karten wäörn de Grundlage för denn Dütschken Spraokatlas.

Georg Wenker hat die erste umfassende Dialektuntersuchung in ganz Deutschland durchgeführt. Seine wirklich geniale Idee bestand darin, dass er überall die gleichen hochdeutschen Sätze in die jeweiligen Lokaldialekte übertragen ließ. Dafür hatte er 40 Sätze entwickelt, die so angelegt waren, dass man Vokabular, Grammatik und sprachliche Besonderheiten auf einfache Weise herausarbeiten konnte. Alle „Wenker-Bögen“ waren durchnummeriert und konnten anhand ihrer Nummern ganz einfach auf eine Landkarte übertragen werden. Auf die Weise konnte man Sprachkarten ausarbeiten, und diese Karten waren die Grundlage für den Deutschen Sprachatlas.

Een wiederer genialer Infall vön Georg Wenker bestönd daorin, dat he – mit Unnerstüttung ut Berlin – de Scholbehörden för düsse Unnersökung inspannde: de Wenkerbüögen würden an Magisters verschicket, de mossen se utfüllen un dann an de tostännigen Schol-Inspektoren (!) trüggeschicken. Dat garanteerde, dat de ganze Unnersökung mit graude Suorgfalt utföehrt würd – un dat nicheener „kniepen“ konn. Lesstenendes gaff et up düsse Wiese vullflächig ut ganz Dütschkland hauchwärtiget Unnersökungsmaterial.

Ein weiterer genialer Einfall von Georg Wenker bestand darin, dass er – mit Unterstützung aus Berlin – die Schulbehörden für diese Untersuchung einspannte: die Wenkerbögen wurden an Lehrer verschickt, die mussten sie ausfüllen und dann an die zuständigen Schul-Inspektoren (!) zurückschicken. Das garantierte, dass die ganze Untersuchung mit großer Sorgfalt ausgeführt wurde – und dass sich keiner drücken konnte. Letzten Endes gab es auf diese Weise vollflächig aus ganz Deutschland hochwertiges Untersuchungsmaterial.

De eersten „Wenkerbüögens“ verschickede he 1875 in ’t Rhienland. Up Grundlage vön de Utwertungen verbiäterde he siene Wenkersätze un verschickede se af 1879 in ganz Norddütschkland, üm de norddütschken Dialekte te unnersöken. De Rest vön dat „Dütschke Riek“ kammp läter an de Riege.

Die ersten „Wenkerbögen“ verschickte er 1875 ins Rheinland. Auf Grundlage der Auswertungen verbesserte er seine Wenkersätze und verschickte sie ab 1879 in ganz Norddeutschland, um die norddeutschen Dialekte zu untersuchen. Der Rest des „Deutschen Reichs“ kam später an die Reihe.

Wat vöndage de Kreis Steinfurt is, dat häörde daomaols för Wenker to „Norddütschkland“. Tüschken Winter 1879 und Fröhjaohr 1880 kreegen auk bie us in denn „Kreis: Tecklenburg, Reg.-Bez.: Münster, Staat: Preussen“ verscheidene Magisters Breewe ut Marburg.

Was heute der Kreis Steinfurt ist, das gehörte damals für Wenker zu „Norddeutschland“. Zwischen Winter 1879 und Frühjahr 1880 erhielten auch bei uns im „Kreis: Tecklenburg, Reg.-Bez.: Münster, Staat: Preussen“ viele Lehrer Briefe aus Marburg.

„Sehr geehrter Herr!“ hedde et dao, „Der Unterzeichnete  beabsichtigt, …  genaue, jeden Schulort berücksichtigende Dialectkarten von ganz Norddeutschland auszuarbeiten. Zu dem Ende wird je einem der Herren Lehrer in jedem Schulorte dieses Formular zugestellt mit der ergebenen Bitte, die obenstehenden Fragen gewissenhaft zu beantworten sowie eine Uebersetzung der einliegenden hochdeutschen Sätzchen in die ortsübliche Mundart umstehend einzutragen, das Formular sodann dem Herrn Kreis=, Bezirks= oder Stadt=Schulinspector, zur Rücksendung an mich abzuliefern.   …

Nach den im Rheinland gemachten Erfahrungen glaube ich Sie auf folgende Punkte aufmerksam machen zu müssen:

  1. Lassen Sie die Übersetzung durch einen oder einige geeignete S c h ü l e r   anfertigen; dieselben kennen ja ihren Dialekt hinlänglich und werden sich aus der Arbeit ein Vergnügen machen.    …
  2. Zur Schonung meiner Augen (über 36,000 Uebersetzungen werde ich zu verarbeiten haben!) darf ich wohl um klare Schrift und gute Dinte bitten.

Marburg in Hessen, Winter 1879/80       Dr. G. Wenker“

„Sehr geehrter Herr!“ hieß es da, „Der Unterzeichnete  beabsichtigt, …  genaue, jeden Schulort berücksichtigende Dialectkarten von ganz Norddeutschland auszuarbeiten. Zu dem Ende wird je einem der Herren Lehrer in jedem Schulorte dieses Formular zugestellt mit der ergebenen Bitte, die obenstehenden Fragen gewissenhaft zu beantworten sowie eine Uebersetzung der einliegenden hochdeutschen Sätzchen in die ortsübliche Mundart umstehend einzutragen, das Formular sodann dem Herrn Kreis=, Bezirks= oder Stadt=Schulinspector, zur Rücksendung an mich abzuliefern.   …   

Nach den im Rheinland gemachten Erfahrungen glaube ich Sie auf folgende Punkte aufmerksam machen zu müssen: 

  1. Lassen Sie die Übersetzung durch einen oder einige geeignete  S c h ü l e r   anfertigen; dieselben kennen ja ihren Dialekt hinlänglich und werden sich aus der Arbeit ein Vergnügen machen.    …       
  2. Zur Schonung meiner Augen (über 36,000 Uebersetzungen werde ich zu verarbeiten haben!) darf ich wohl um klare Schrift und gute Dinte bitten.

   …  

Marburg in Hessen, Winter 1879/80       Dr. G. Wenker“


Georg Wenker [1]
Wenker Bogen Riesenbeck Fragen [2]
Wenker Bogen Riesenbeck Wenker Sätze 1-4 [3 ]

„Je einem der Herren Lehrer in jedem Schulorte“ – dat wäörn Lährer Theissing in Riesenbiëk [Riesenbeck, in ’t Folgende „R“, Buogen Nummer 20263], Lährer Wielage in Biäwergärn [Bevergern, „B“, 20261], Lährer Naaber in Dreierwolde [Dreierwalde, „D“,20306] un Ossenwolde [Ostenwalde, „O“, 20309], Lährer Demming in Hüörssel [Hörstel, „H“, 20259] un Lährer Böwering in Grawenhuorst [Gravenhorst, „G“, 20262].

„Je einem der Herren Lehrer in jedem Schulorte“ – das waren Lehrer Theissing in Riesenbeck […, im Folgenden „R“, Bogen Nummer 20263], Lehrer Wielage in Bevergern […, „B“, 20261], Lehrer Naaber in Dreierwalde […, „D“, 20306] und Ostenwalde […, „O“, 20309], Lehrer Demming in Hörstel […, „H“, 20259] und Lehrer Böwering in Gravenhorst […, „G“, 20262].

De Magisters sollen äs eerstes 7 Fraogen beantwaorden un dann vön iähre Schölers de 40 „Wenker-Sätze“ in ’t Platt üöwerdriägen laoten.

Die Lehrer sollten als erstes 7 Fragen beantworten und dann von ihren Schülern die 40 „Wenker-Sätze“ ins Platt übertragen lassen.

De Antwaorten up de eerste Fraoge („Geschah die Übersetzung durch Schüler oder durch den Lehrer?“) brachde an ’t Lecht, dat män bloß Lährer Böwering ut „G“ de 40 Sätze vön siene Schölers üöwersetten löt. Lährer Naaber üöwerdrüög de Sätze in „Dreyerwalde“ tesammen mit siene Schölers, in „O“ aower „zusammen mit geborenen Ostenwaldern“. Lährer Demming ut „H“ üöwersett’e se „mit Hülfe der Lehrerin“, un Lährer Theissing „R“ und Lährer Wielage „B“ üöwersett’en se ohne früemde Hölpe.

Die Antworten auf die erste Frage („Geschah die Übersetzung durch Schüler oder durch den Lehrer?“) brachte ans Licht, dass (man) nur Lehrer Böwering aus „G“ die 40 Sätze von seinen Schülern übersetzen ließ. Lehrer Naaber übertrug die Sätze in „Dreyerwalde“ zusammen mit seinen Schülern, in „O“ aber „zusammen mit geborenen Ostenwaldern“. Lehrer Demming aus „H“ übersetzte sie „mit Hülfe der Lehrerin“, und Lehrer Theissing „R“ und Lehrer Wielage „B“ übersetzten sie ohne fremde Hilfe.

Bie de naichsten 4 Fraogen gönk et üm de Utspraoke. De Fraoge 2 („Lautet in dem in Ihrer Schulgemeinde ortsüblichen Dialekt das „g“ im Anfange der Wörter (z.B. in den mundartlichen Wörtern für „gut, geben, groß, graben, glauben, glücklich“ wie „j“, oder wie leises „k“, oder wie leises „ch“?“) un Fraoge 3 („Ist ein deutlicher Unterschied zwischen dem „g“ in „Kugel, Augen, fragen“ und dem „g“ in „Kegel, kriegen, biegen, zeigen“, oder sind diese „g“ sämmtlich in der Aussprache fast gleich?“) würden vön alle Magisters gliek beantwaortet: Dat „g“ an ’n Waortanfang würd üöwerall äs „leises ch“ utspruoken, un Unnerscheide bie dat „g“ in verscheidene Wäörder gaff et nich. Beides is bis vöndage jüstso bliëben.

Bei den nächsten 4 Fragen ging es um die Aussprache. Die Frage 2 („Lautet in dem in Ihrer Schulgemeinde ortsüblichen Dialekt das „g“ im Anfange der Wörter (z.B. in den mundartlichen Wörtern für „ gut, geben, groß, graben, glauben, glücklich“ wie „j“, oder wie leises „k“, oder wie leises „ch“?“) und Frage 3 („Ist ein deutlicher Unterschied zwischen dem „g“ „in Kugel, Augen, fragen“ und dem „g“ in „Kegel, kriegen, biegen, zeigen“, oder sind diese „g“ sämmtlich in der Aussprache fast gleich?“) wurden von allen Lehrern gleich beantwortet: Das „g“ am Wortanfang wurde überall als „leises ch“ ausgesprochen, und Unterschiede bei dem „g“ in verschiedenen Wörtern gab es nicht. Beides ist bis heute genau so geblieben.

Ännert häff sick aower doch wull wat, un dat mäck de Fraogen 4 un 5 helle intressant.

Geändert hat sich aber doch wohl etwas, und das macht die Fragen 4 und 5 sehr interessant.

Up Fraoge 4 („Lautet „st, sp“ in den mundartlichen Wörtern für „Stall, stellen, sprechen, Spiel etc.“ wie „scht, schp“ oder wie „ßt, ßp“?“) gaffen de Magisters ut R, B und G (de Antwaorten vön de änneren Magisters sind unliäserlick) de Antwaort, dat et „ßt, ßp“ hedde. Vör 130 Jaohren hedde et also bie us noch „S-tall“, „s-tellen“, „s-priäken“ un „S-piël“ mit dat olle s-pitzke „s“. Dütt s-pitzke „s“ häff sick in ’t 19. Jaohrhunnert allgemein to „sch“ ümwannelt, un an de Antwaorten vön de Magisters kann man afliäsen, dat bie us de Ümwandlung üm 1880 noch nich ümsett’ wäör. Häörn kann man dat s-pitzke „s“ auk vöndage noch ganz selten maol, aower eegentlick hett et bie us nu üöwerall „Sch-tall“, „sch-tellen“, „sch-priäken“ un „Sch-piël“. Mit düsse Fraoge konn Georg Wenker üöwerblicken, wu wiet sick in Dütschkland regional de Ümwandlung vön dat spitzke „s“ düörsett’ hadde.

Auf Frage 4 („Lautet „st, sp“ in den mundartlichen Wörtern für „Stall, stellen, sprechen, Spiel etc.“ wie „scht, schp“ oder wie „ßt, ßp“?“) gaben die Lehrer aus R, B und G (die Antworten der anderen Lehrer sind unleserlich) die Antwort, dass es „ßt, ßp“ hieße. Vor 130 Jahren hieß es also bei uns noch „S-tall, „s-tellen“, „s-priäken“ und „S-piël mit dem alten spitzen „s“.Dieses spitze „s“ hat sich im 19. Jahrhundert allgemein zu „sch“ umgewandelt, und an den Antworten der Lehrer kann man ablesen, dass bei uns die Umwandlung um 1880 noch nicht umgesetzt war. Hören kann man das s-pitzke „s“ auch heute noch ganz selten einmal, aber eigentlich heißt es bei uns jetzt überall „Sch-tall“, „sch-tellen“, „sch-priäken“ und „Sch-piël“. Mit diesen Fragen konnte Georg Wenker überblicken, wie weit sich in Deutschland regional die Umwandlung des spitzen „s“ durchgesetzt hatte.

Up Fraoge 5 („Ist „sch“ in den mundartlichen Wörtern für „fischen, waschen, Flasche etc.“ ein einziger Laut oder lautet es getrennt wie „fiß-chen, Flaß-che etc.“?“) gaff et verscheidene Antwaorten: in R, D, O un H hedde et üöwerall „sch“. De Magisters vön B un G aower gaffen an, dat de Laute getrennt utspruoken würden: „ß-ch“.

Auf Frage 5 („Ist „sch“ in den mundartlichen Wörtern für „fischen, waschen, Flasche etc.“ ein einziger Laut oder lautet es getrennt wie „fiß-chen, Flaß-che etc.“?“) gab es verschiedene Antworten: in R, D, O und H hieß es überall „sch“. Die Lehrer von B und G aber gaben an, dass die Laute getrennt ausgesprochen würden: „ß-ch“.

Vöndage hett et bie us in ’t Mönsterland: „fischken“, waschken“ un „Flaschke“. Vör 130 Jaohre daokiëgen, wu man in Fraoge 4 seihn kann, hedde et „fisken“, „wasken“ un „Flaske“, also mit s-pitzket „s“ .

Heute heißt es bei uns im Münsterland: „fischken“, „waschken“ und „Flaschke“. Vor 130 Jahren dagegen, wie man in Frage 4 sehen kann, hieß es „fisken“, „wasken“ und „Flaske“, also mit s-pitzem „s“ .

Dütt “sk“ is de ganz olle, ursprünglicke Fuorm, de in ’t Plattdütschke bliëben is, in Hauchdütschk aower to „sch“ wuerden is. Spraokgeschichtlick is dütt „sk“ de Vorläufer vön dat hauchdütschke „sch“ – oder, änners säggt, ut „s-k“ in Wäörder äs „fis-ken“ un „was-ken“ häff sick dat „sch“ entwickelt in Wäörder äs „fischen“, „waschen“. De Magister vön B un G häbbt wull dütt „s-k“ vör Augen hatt, äs se „getrennte Laute“ angaffen.(1)

Dieses „sk“ ist die ganz alte, ursprüngliche Form, die sich im Plattdeutschen erhalten hat, im Hochdeutschen aber zu „sch“ geworden ist. Sprachgeschichtlich ist dieses „sk“ der Vorläufer des hochdeutschen „sch“ – oder, anders gesagt, aus „s-k“ in Wörtern wie „fis-ken“ und „was-ken“ hat sich das „sch“ entwickelt in Wörtern wie „fischen, „waschen“.Die Lehrer aus B und G haben wohl dieses „s-k“ vor Augen gehabt, als sie „getrennte Laute“ angaben.

Fraoge 6 („Sind in Ihrem Schulorte „Nichtdeutsche“ (Dänen, Polen, Lithauer etc.) in grösserer Zahl ansässig? Und welche? Und wie stellt sich etwa das Zahlenverhältniss in diesem Falle?“) häbbt 5 Lährers eenfack düörstriëken, Lährer Böwering schreef „keine“.

Frage 6 („Sind in Ihrem Schulorte „Nichtdeutsche“ (Dänen, Polen, Lithauer etc.) in grösserer Zahl ansässig? Und welche? Und wie stellt sich etwa das Zahlenverhältniss in diesem Falle?“) haben 5 Lehrer einfach durchgestrichen, Lehrer Böwering schrieb „keine“.

Fraoge 7 fällt watt ut ’n Rahmen („Haben die Einwohner Ihres Schulorts noch eine ausgeprägte Volkstracht? a) die Männer?   b) die Frauen?“). De Antwaorten sind eendütig: nein. Lährer Theissing ut R schreef „modernisiert“. Dat Nich-Driägen vön Volkstrachten würd demtefolge to daomaolige Tieten äs modern anseihn.

Frage 7 fällt etwas aus dem Rahmen („Haben die Einwohner Ihres Schulorts noch eine ausgeprägte Volkstracht? a) die Männer?   b) die Frauen?“). Die Antworten sind eindeutig: nein. Lehrer Theissing aus R schrieb „modernisiert“. Das Nicht-Tragen von Volkstrachten wurde demzufolge zu damaligen Zeiten als modern angesehen.

Nao düsse 7 Fraogen kammen de berühmten 40 Wenker-Sätze.

Nach diesen 7 Fragen kamen die berühmten 40 Wenker-Sätze.

De eerste Satz hedde „Im Winter fliegen die trockenen Blätter in der Luft herum.“ Üöwersett’ würd düsse Satz in B, D, G, H, O un R folgendermaoten: (2)

B:   In ’n Winter fleegt de drügen Blädder doer de Luft herüme.

D:   In ’n Winter fleiget de drügen Blare dör de Lucht herümme.

G:   In ’n Winter flaiget de drügen Blade düör de Lucht herümme.

H:   Int Winter fleiget de drügen Blare in de Lucht herümme.

O:   In ’n Winter fleiget de drügen Blare dör de Luft herümme.

R:   S’ Winters flaiget de saoren Blaade dör de Lucht harümme.

Der erste Satz hieß „Im Winter fliegen die trockenen Blätter in der Luft herum.“ Übersetzt wurde dieser Satz in B, D, G, H, O und R folgendermaßen:

B:   In ’n Winter fleegt de drügen Blädder doer de Luft herüme.

D:   In ’n Winter fleiget de drügen Blare dör de Lucht herümme.

G:   In ’n Winter flaiget de drügen Blade düör de Lucht herümme.

H:   Int Winter fleiget de drügen Blare in de Lucht herümme.

O:   In ’n Winter fleiget de drügen Blare dör de Luft herümme.

R:   S’ Winters flaiget de saoren Blaade dör de Lucht harümme.

Et fällt faorts up, dat de Üöwersettungen ähnlick, aower bie Naohheit nich gliek sind.

Es fällt sofort auf, dass die Übersetzungen ähnlich, aber bei Weitem nicht gleich sind.

Dat Waort „Winter“ is datsölwige äs dat hauchdütschke Waort „Winter“, un et is auk üöwerall een maskulinet Substantiv: de Winter (in ’n Winter = in denn Winter, un de Artikel „denn“ is immer maskulin). Änners aower in H: dao hett et „int“ (= in dat) – un dat bedütt, dat daomaols „Winter“ in H een Neutrum-Substantiv wäör: dat Winter. Daomit schiärde H ut de Riege.

Das Wort „Winter“ ist dasselbe wie das hochdeutsche Wort „Winter“, und es ist auch überall ein maskulines Substantiv: de Winter (in ’n Winter = in denn Winter, und der Artikel „denn“ ist immer maskulin). Anders aber in H: da heißt es „int (= in dat) – und bedeutet, dass damals „Winter“ in H ein Neutrum-Substantiv war: dat Winter. Damit scherte H aus der Reihe (aus).

Dat Verb „fliegen“ würd üöwerall mit „flaigen / fleigen“ üöwersett’ – bloß in B hedde et „fleegen“. Et schinnt, dat auk Magister Wielage ut B sick daodrüöwer in ’n Klaorn wäör, dat dat Platt in B ’n lück änners wäör äs in de Düörper rundümmto. He schreef nämlick unner de Fraogen 1-7: „Auf die Übersetzung folgender Wörter wird besonders aufmerksam gemacht:

Das Verb „fliegen“ wurde überall mit „flaigen / fleigen“ übersetzt – nur in B hieß es „fleegen“. Es scheint, dass auch Magister Wielage aus B sich darüber im Klaren war, dass das Platt in B etwas anders war als in den Dörfern rundherum. Er schrieb nämlich unter die Fragen 1-7: „Auf die Übersetzung folgender Wörter wird besonders aufmerksam gemacht:

stehen = staun                lassen = lauten                 Kohlen = Kohlaun(???)

gehen = gaun                   bloß = blaut                     sehr = duene

ich stehe = ik stau           thun = doen                     schlagen = schlaun

“ gehe = “ gau                müssen = müeten             kommen = kumen

er steht = he steht           Straße = Straute               er kam = he quamm

“ geht = “ geht                gute = guedde“

stehen = staun                lassen = lauten                 Kohlen = Kohlaun(???)

gehen = gaun                   bloß = blaut                     sehr = duene

ich stehe = ik stau           thun = doen                     schlagen = schlaun

“ gehe = “ gau                müssen = müeten             kommen = kumen

er steht = he steht           Straße = Straute               er kam = he quamm

“ geht = “ geht                gute = guedde“

Intressant is dat Waort för „Luft“: in O un B hedde et vör hunnertdiärtig Jaohren „Luft“ – aower in D, G, H un R gaff et noch dat olle Waort „Lucht“. „Lucht“ is vöndage noch dat holländischke Waort för „Luft“; aower up Platt hett et vöndage üöwerall, jüst so äs in ’t Hauchdütschke, „Luft“.

Interessant ist das Wort für „Luft“: in O und B hieß es vor hundertdreißig Jahren „Luft“ – aber in D,G,H und R gab es noch das alte Wort „Lucht“. „Lucht“ ist heute noch das holländische Wort für „Luft“; aber auf Platt heißt es heute überall, genauso wie im Hochdeutschen, „Luft“.

Verglick man de üöwerigen 39 Sätze mit’neener, dann fällt noch eeniges wiedere up.

Vergleicht man die übrigen 39 Sätze miteinander, dann fällt noch einiges weitere auf.

Bie de för uese Platt typischken Diphthonge (Doppelvokale) gaff et in D und O dütlicke Afweekungen: so hett et in B, G und R bes vöndage „Miälk“ (in H: „Mälk“) – aower in D un O hedde et „Mailk“. De Diphthong is sotesäggen ümdreiht. Ännere Biespiële daoför sind in B, G un R „Biärge, Wiäken, Piäper“ (in H: Berge, Wiäken, Päper) – un in D un O „Bäirge, Wäiken (bzw. Wäcke), Päiper“. Antemiärken is, dat et in D vöndage „Melk, Biärge, Wiäken un Piäpper“ hett. Daoto mott man wiëten, dat Lährer Naaber gebürtig ut Dreierwolde kümmp un vön daohiär nich anteniëhmen is, dat he de Diphthonge verkährt verstaohn häff.

Bei den für unser Platt typischen Diphthongen (Doppelvokalen) gab es in D und O deutliche Abweichungen: so heißt es in B, G und R bis heute „Miälk“ (in H: „Mälk“) – aber in D und O hieß es „Mailk“. Der Diphthong ist sozusagen umgedreht. Andere Beispiele dafür sind in B, G und R „Biärge, Wiäken, Piäper“ (in H: Berge, Wiäken, Päper) – und in D un O „Bäirge, Wäiken (bzw. Wäcke), Päiper“. Anzumerken ist, dass es in D heute „Melk, Biärge, Wiäken und Piäpper“ heißt. Dazu muss man wissen, dass Lehrer Naaber gebürtig aus Dreierwalde kommt und von daher nicht anzunehmen ist, dass er die Diphthonge falsch verstanden hat.

Upfällig viële Varianten gaff et för dat hauchdütschke Waort „selbst“ (Satz 20): söllfsts (B), sölws (D, O), sümbst (G), selfst (H) un sölwen (R).

Auffällig viele Varianten gab es für das hochdeutsche Wort „selbst (Satz 20): söllfts (B), sölws (D,O), sümbst (G), selfst (H) und sölwen (R).

Dat olle mönsterlännschke Waort för „bin“ (Satz 9), nämlick „sin“, gaff et 1880 immerhen noch in B, D un H; in G, O un R hedde et auk daomaols all „bin“.

Das alte münsterländische Wort für „bin“ (Satz 9), nämlich „sin“, gab es 1880 immerhin noch in B, D und H; in G, O und R hieß es auch damals schon „bin“.

Dat sall för ’t eerste genügen. Man krigg aower doch eenen gueden Indruck daovön, dat man glieke Sätze guet verglieken kann un dat de Unnerscheide vön Duorp te Duorp licht uttearbeiden sind.

Das soll fürs erste genügen. Man erhält aber doch einen guten Eindruck davon, dass man gleiche Sätze gut vergleichen kann und dass die Unterschiede von Dorf zu Dorf leicht auszuarbeiten sind.

De Originalbüögens vön Wenkers Unnersökung ligget vöndage in ’t Archiv vön dat „Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas“ vön de Philipps-Universität Marburg, de Utwertungen (un de Digitalisierung) laupt üöwrigens bes vöndage. Dao kann man auk Kopien anfüördern.

Die Originalbögen von Wenkers Untersuchung liegen heute im Archiv des „Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas“ der Philipps-Universität Marburg, die Auswertungen (und die Digitalisierung) laufen übrigens bis heute. Da kann man auch Kopien anfordern.

Dat villicht wichtigste Ergebnis vön Wenkers Arbeit wäörn de Dialektgrenzen in Dütschkland. Vör allem de „Benrather Linie“ is bekannt, denn se grenzt alle plattdütschken Dialekte vön de mittel- un hauchdütschken Dialekte af. De Benrather Linie wätt auk äs „maken – machen – Linie“ beteeket; näördlick vön düsse Linie hett et üöwerall „maken“, südlick daovön üöwerall „machen“.

Das vielleicht wichtigste Ergebnis von Wenkers Arbeit waren die Dialektgrenzen in Deutschland. Vor allem die „Benrather Linie“ ist bekannt, denn sie grenzt alle plattdeutschen Dialekte von den mittel- und hochdeutschen Dialekten ab, Die Benrather Linie wird auch als „maken – machen – Linie“ bezeichnet; nördlich dieser Linie heißt es überall „maken, südlich davon überall „machen“.

Text-Fußnoten:

[1] Dr. Alfred Lameli (Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas) E-Mail-Kontakt

[2] aus: Dat Mönsterlänner Platt, Lehrbuch von Rita und Rudolf Averbeck; Übertragung der altdeutschen Handschrift: Josef Keller, Riesenbeck, S. 100 + S. 272 ff

Fotos-Fußnoten:

[1] Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Alfred Lameli, Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas

[2] + [3] aus: Dat Mönsterlänner Platt, Lehrbuch von Rita und Rudolf Averbeck; Josef Keller, Riesenbeck, S. 100

[Veröffentlicht im „Jahrbuch für den Kreis Steinfurt 2012“]

Die vollständigen Wenkersätze aus den Orten Riesenbeck, Bevergern, Dreierwalde, Ostenwalde, Gravenhorst und Hörstel sind veröffentlicht in „Dat Mönsterlänner Platt – Lehrbuch“ von Rita und Rudolf Averbeck.